Vom nach Hause kommen
- Alex
- 25. Juni 2023
- 5 Min. Lesezeit
Zu Beginn dieser Ausführung über das Land der unbequemsten Sitzgelegenheiten und seine Essgewohnheiten, muss ich etwas Ehrenrettung betreiben.
Es wird seinem schlechten Ruf einfach nicht gerecht. Man findet gutes Essen, man findet nicht so gutes Essen, man muss einfach ein bisschen suchen. Optisch muss man meist ein paar Abstriche machen. Alles in allem wie bei der Partnersuche.
Ich habe mich entschlossen diesen Eintrag etwas anders anzugehen, da es dieses Mal tatsächlich etwas zu berichten gibt und ich nicht stundenlang versuchen muss, mir aus den vergangenen vier Wochen lustige Dinge, die im entferntesten mit Essen zu tun haben, aus den Finger zu saugen. Hier und jetzt schauen wir uns einzelne Gerichte etwas genauer an.
Eines der zwei bekanntesten und sehr typischen Gerichte auf den Philippinen ist etwas, das in einem deutschen Restaurant "Alles vom Schwein auf heißem Stein" heißen würde. Der betreffende Menükartenlyriker würde für seine Lebtage von diesem genialen Reim zehren.
Hier heißt es Sisig, oft mit dem Adjektiv Sizzling versehen. Es kommt traditionell fast alles vom Schwein rein, hauptsächlich vom Kopf. Gut möglich, dass sich darin zum Beispiel etwas Ohr findet. Ein paar knorpelige Stücke hier und da, ganz normal. All das wird kleingehackt, deftig angebraten, mit Calamansi, einer kleinen Limetten-Zitrone, angemacht und mit Mayonnaise garniert. Ich kann nicht sagen was die mir servierten Ausführungen enthalten, das Zerhacken und Braten machen es unkenntlich - wahrscheinlich ist das etwas Gutes.
Seinen Ursprung hat das Gericht wohl während der fast 50-jährigen amerikanischen Kolonialzeit zu Beginn des 20ten Jahrhunderts. Da auf der Air Base in Angeles City Schweineköpfe nicht für die Essenszubereitung für die stationierten Soldaten benötigt wurden, überließ man sie der lokalen Bevölkerung günstig oder umsonst. Ein sehr positiver Beweggrund, der hinter Sisig steckt, nichts wird weggeworfen.
Wie schmeckt das Ganze jetzt? Zuerst einmal deftig. Es erinnert geschmacklich stark an ein Gröstl und hat außer den Komponenten Fleisch, Fett, Salz und etwas Säure wenig zu bieten. Es ist nicht unangenehm, nur etwas eindimensional. Bei den Ausführungen mit Fleisch hängt und fällt mein Stimmungsbarometer mit der Menge an Mayonnaise. Ein wenig hilft dem Gericht sogar, zu viel macht es fast unausstehlich, weil es alles außer den fettigen Teil gänzlich schluckt.
Die Art der Zubereitung und der deftige Geschmack bescheren uns großartige vegetarische oder vegane Versionen der philippinischen Speise. Pilze als Fleischersatz eigenen sich hier mehr als perfekt. Man bekommt eine tolle Note umami, nur die Fettkomponente könnte man als unterrepräsentiert bezeichnen. Alternativ probieren wir noch Tofu Sisig und ich bin sehr erstaunt darüber, wie ähnlich es schmeckt, nur ohne die Störfaktoren des Originals.
Das beste Sisig essen wir in Cebu City. Das vegane Restaurant The Green Pantry in der Nähe der Cebu Technology University brät den Tofu so knusprig, ohne ihn zu überfetten, und liefert einen Geschmack zum verlieben.

Nach zwei, drei Sisigs vom Schwein lass ich es dann auch sein. Obwohl das ernüchterndste Sisig das uns begegnet aus Aubergine besteht, und Mayonnaise zu gleichen Teilen, bleiben wir bei den fleischlosen Varianten. Es zeigt sich hier, wie man an Tradition festhalten kann, obwohl man das womöglich Zentrale ändert. Tofu und Pilze konstituieren ihre Stellung als idealer Fleischersatz.
Noch ein Wort zum Tofu hier. Er ist anders, brotartig und erinnert an die Füllung der nepalesischen Nudel aus Fremantle. Er saugt etwa Soße auf, was der übliche Seidentofu nicht tut. Er lässt sich frittieren und bekommt dabei eine fast knusprige Hülle. Trotz wochenlanger Suche, die ich mit einer Intensität betreibe wie die Deutsche den Bahnausbau, bin ich noch nicht fündig geworden.
Ein weiterer, mehr als wichtiger Teil der philippinischen Küche dreht sich um seine eigene Achse. Die Herzen der deutschen Imbissgänger und Langzeitgriller schlagen hier hoch. An fast jeder Ecke dreht sich ein Hendl, genannt Chicken Inasal, hypnotisierend um seine Achse, Po und Mund verbindend. Ebenso zählt das Aufspießen von kleinen Schweinen auf derselben Achse zu einem nationalen Gericht namens Lechon. Die Heimatassoziationen lassen mich nicht los. Probiert habe ich es bis dato nicht, kenn ich ja schon.
Das letzte Puzzleteil in der deutschen Tanktop, Dosenbier und Grillzangen Kultur findet sich hier auch. Auf den Inseln der Philippinen verteilt, finden sich Grillstationen, welche ihre Rohware ausstellen von welcher man sich selbst einen satten Grillteller zusammenstellen kann. Dieser wird dann leider für einen gegrillt, man kommt also nicht in den Genuss des Grillzangenfunktionstestens. Meine Gefühle übermannen mich dann als ich erfahre, dass es Kaskrainer gibt.
Meine kleine Selektion beinhalten die Käsewurst, eine Stück süßlich mariniertes Schwein und zwei Wurstknödel, die nach dem ersten Bissen ein deutlich zu rohes Bild abgeben. Ich verzichte auf vollständiges verschlingen.
Meine geistliche Versetzung in mein Heimatland nimmt ein abruptes Ende als ich zum Zahnstocher greife. Was ist das?

Auf Empfehlung unseres Tauchlehrers hin - und da sich vorherige Empfehlung von ihm sehr ausgezahlt haben - esse ich auf Malapascua Island im KB-Merk einen Bicol Express. Ungewöhnlicher Name, dachte ich mir. Stellt sich doch heraus, die erste Assoziation stimmt. Das Gericht ist nach dem Zug bzw. der Zuglinie "Bicol Express" benannt. Bicol ist die südliche Region auf der Insel Luzon, auf welcher auch die Hauptstadt Manila liegt. Weil der Name noch nicht an Kuriosität reicht, entstammt das Gericht einem Kochwettbewerb der 1970er Jahre in Manila. Wie im Schnellzug verbreitet sich die Speise bestehend aus Schweinefleisch, Zwiebeln, Ingwer, Knoblauch, Shrimp Paste, Kokosnuss Milch und Chili im restlichen Land.
Als ich den ersten Bissen in mich hineinhieve, erschüttert es mich erneut bis ins Mark. Vor mir bauen sich Erinnerungen an bayrische Restaurants und Spätzle auf. Das einzige was ich noch schmecke ist Putenrahmgeschnetzeltes. Und Feuer. Es brennen fast alle Schleimhäute.
Es ist unglaublich, wie ähnlich es schmeckt. Kaum bis gar keine Note Kokos, diese Cremigkeit und das Fleisch hat auch noch die selbe Form wie beim Puten-Pendant. Ich schlemme und ignoriere die Schärfe und bin schneller fertig als ich erhofft habe. Durchgeschwitzt und emotional aufgewühlt, falle ich in einen tiefen Schlaf.
Am nächsten Morgen ist mir nach Frühstück, so richtig mit gutem Gebäck, nicht so Super-Food-Bowl-Smoothie-Zeug.

Aber auch hier lassen uns die Philippinen nicht in Stich und versorgen uns mit zumindest heimatähnlichen Teigwaren. In fast jedem besuchten Ort gibt es einen Julie's, die kommerzielle Spitze der Bäckereiwelt hier. Die Namen in den Schaufenstern machen es nicht zum unlösbaren Rätsel wie die Backwarenkultur hierher gekommen ist. Pan de Leche, Pan de Julia oder Torta Cebuana heißen ausgewählte Produkte. Die Spanier konnten wohl genauso wenig ohne ihre süßen Stückchen leben, wie es die Deutschen ohne ihren geliebten Leib Brot können.
Wir greifen jedes Mal tief in die Tasche. Mehrere Stücke die uns auf einer lange Reise als Proviant dienen oder als vollwertiges Mittagessen, kosten dann schon mal schlappe 80 Cent.Analog zu daheim öffnen die Bäckereien zu wirklich unchristlichen Zeiten. Auf einer zufällig gewählten Pupsinsel öffnen sie um 5 Uhr die Pforten. Und dabei sind die Philippinen zu über 80% christlich. Wieso sind Zeiten eigentlich unchristlich? Beten Mönche das erste Mal um Mitternacht, nur um dann vor Sonnenaufgang nicht die Prim bzw. seit ihrer Abschaffung durch das zweite vatikanische Konzil die Laudes vor Sonnenaufgang? Was einem Umberto Eco, Ken Follet und etwas Recherche nicht so alles beibringen.
Viele kleinen Törtchen oder Semmeln sind mit Ube gefüllt, unschwer an der lila Färbung und dem süßen Geschmack zu erkennen. Leicht zu verwechseln mit dem süßen ehemaligen Münchner Bürgermeister.
Wie dem auch sei, die lila Backzutat ist das Wurzelgemüse Yams welches Ähnlichkeiten zur Süßkartoffel aufweist. Die Riese Auswahl an unterschiedlichsten Gebäckstücken aus Hefeteig, Biscuitteig oder einfach Milchbrötchen füttern unsere Experimentierfreude. Und dann haben wir beim beinahe exotischsten Törtchen die größten Heimatgefühle.
Die Füllung besteht aus Mungbohne und Zimt und schmeckt exakt wie Apfelstrudel. Selbst ohne die Vanillesauce die hier bei 35 Grad und 95% Luftfeuchtigkeit vermutlich flocken würde, weil sie nicht weiß, was sie sonst tun soll. Auch begegnet uns ein Zopf, in Fett ausgebacken, der wie Auszogne schmeckt.

Wir erfahren, dass sich die philippinische Weihnachtszeit exakt mit der Verkaufsperiode von Lebkuchen in Deutschland deckt. September bis Weihnachten. Daher darf auch ein Plätzchen hier nicht fehlen. Diese kleine Kügelchen können mit Vanillekipferl getrost den Zweikampf aufnehmen. Ihre runde Form sollte ihr im Gefecht einen entscheidenden Vorteil geben.
Aber seht selbst wie vielfältig die Welt des Backens hier ist. Für meinen Geschmack alles etwas zu süß, aber einzigartig in der uns bekannten südostasiatischen Welt.
Um so viel schon vorweg zu nehmen, das bekanntestes Gericht sowie die Welt der Land- und Meeresfrüchte stehen noch an.
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