Arg Essen
- Alex
- 28. Jan. 2024
- 6 Min. Lesezeit
Wer gehofft hat, dass sich dieses selbstverherrlichende Geschreibe über Essen an Orten, die einen direkt in eine Alltagsmelancholie verfallen lassen, aufhört, der hat offensichtlich falsch gedacht. Vielleicht erlaube ich zukünftig auch eine Teilhabe an meinen sonstigen, von dauerhaften Anekdoten geprägten, doch sehr beschaulichen Erlebnissen in der Welt eines Menschen, der nun endgültig von seinem kulinarischen Talent überzeugt ist.
Argentinien musste nicht sehr viel tun, um mich von seinem Talent zu überzeugen. Da Preis-Leistung doch immerdar eine Rolle in meiner Bewertung spielt, hatte es Argentinien leicht. Leider haben es die Argentinier:innen nicht sehr leicht. Der Situation, der wir uns als privilegierte Touristen, mit stabiler Heimwährung, ausgesetzt sahen, lässt sich mit einer Tatsache hinreichend beschreiben. Zum Geldabheben war eine Beutel für den Geldtransport zwingend notwendig, sonst hätten wir uns die Scheinchen filmreif in den Hosenbund stecken müssen. In handelsübliche Hostentaschen von Damenhosen passen bekanntlich ja eh nur 1,22 €, wenn die maximale Anzahl von drei Münzen nicht überschritten wird. Wir bekommen 500 der zweitgrößten Scheine im Umlauf. Aufgrund dieser Tatsache und den verschiedenen verfügbaren Wechselkursen, lässt sich der Preisfaktor nicht endgültig bewerten. Für uns unglaublich günstig, für die ausgebeulten Geldbeutel der Gebeutelten keine Beute.
Ein gutes Beispiel hierfür ist Wein. Ich mache mich auf die Suche nach einer Flasche Rotwein im Supermarkt. Die erste, welche mir ins Auge springt, kostet uns 1,30 € und wir schauen ja schon aufs Geld, aber so einen Fusel muss es dann doch nicht sein und mein Schwiegervater in Spe würde sich auch in seinem Küchenstuhl umdrehen. Ich stoße vor ins Hochpreissegment und verlassen den Supermarkt 3,50 € ärmer. Und wisst ihr was - die Preisklasse „Fusel“, der wir dann doch nicht widerstehen konnten, liefert richtig ab. Folglich hatte ich Gelegenheit einige Weinflaschen zu fotografieren.
Soweit wir bisher bei Wechselkurs und Wein verwöhnt wurden, stellt uns Argentinien doch gehörig vor Herausforderungen. Spanisch, die Sprache, von der wir zeitweise behaupten sie zu sprechen und teilweise auch verstehen zu können, ist hier anders. Sprechgeschwindigkeit und Ausspracheeigenheiten lassen uns teilweise verzweifeln und bringen vor allem mich in eine äußerst unangenehme Situation. Bei der Auswahl meiner Beilage zu einem Choripan, dazu gleich mehr, werde ich vor eine unlöslichen Aufgabe gestellt. Ich habe keine der beiden Option verstanden. Geschickt wie ich bin, erkundige ich mich beim zweiten Mal nicht erneut nach dem Namen jeder Beilage, sondern bemühe den Kellner um eine Aufführung der Unterschiede von, wie sich herausstellt, Pommes und Salat. Die folgende Erklärung war selbstverständlich spärlich. Pommes seien halt Pommes und Salat Salat. Nun gut.
Mit dem Selbstbewusstsein, das ich aus dieser Konversation geschöpft habe, verzehre ich in Windeseile ein Panini mit Chorizo. Dazu werden dreierlei Saucen gereicht. Rotes und grünes Chimichurri - wer sich erinnert, das ist die Sauce aus dem Restaurant in Christchurch, wo wir zufällig einen Mann bestellt haben, der Guacamole machte - sowie Salsa Criolla. Dieses mal schaut mir nur Diego Maradonna in Form einer überwältigender Menge an Bildern über die Schulter.
Sowohl Chimichurri, die Salsa aus Petersilie, Knoblauch, Öl, Zitrone und Rotweinessig, als auch Salsa Criolla, eingemachte Paprika, Zwiebeln, Tomaten und Knoblauch, viel Knoblauch, begegnen uns immer wieder. Das liegt auch daran, weil ich meine Finger nicht von den kleinen Würstchen lassen kann, die sie hier überall anbraten und ich Semmeln stecken.
Dass Argentinien nicht die höchste Dichte an Vegetarier:innen hat, dürfte auch schon zu den meisten durchgedrungen sein. Dass es hier dementsprechend viel Fleisch gibt, sicherlich auch. Dass es so gut ist, wie es ist, auch. Dass es noch viel besser ist, als man es sich vorstellt, weiß man erst, wenn man es gegessen hat. Und mal wieder liegt der Zauber nicht in der Vielzahl der exotischen Gewürze oder im Fleischeinschweißen-und-im-Wasserbad-bei-konstanten-13-Grad-12-Jahre-garen, sondern an guten Zutaten und simplen Methoden.
Man nehme ein gutes Stück Rindfleisch, einen Menschen, der weiß, wann das Teil innen aussieht wie ein Tutu, etwas Salz und man braucht weder Kräuterbutter, Barbecuesauce, Pommes oder Salat, je nachdem was der Unterschied ist.
Wichtig für den perfekten Abend, ist es dann auch noch, dass deine Begleitung dem Wunsch des Kellerns nicht entspricht, das Menü, welches sich auf ihrem Handy befindet, vollständig auszuhändigen. Vermutlich hat er sich noch nicht an die wohl kürzliche Umstellung auf digitale Karten gewöhnt und ein breites Sammelsurium an Smartphones zuhause. An diesem Abend konnte aber sowie nichts schiefgehen, weil mir erst kürzlich jemand bestätig hat, dass sie kein Problem damit hat, in nächster Zeit weiterhin viel Zeit mit mir zu verbringen. Zu meinem Glück war das diese Person.

Bei einem etwas gehobeneren Versuch des Fleischverzichts, gilt dasselbe Prinzip, nur hübscher. Picanha, das Schwanzstück vom Rind wird zusammen mit einer Salsa Criolla mit Mango wohl so schnell auf den Teller geworfen, dass sich ein hübsches Spritzmuster ergibt. Die Süße der Mango harmoniert prächtig mit der Säure der Salsa Criolla und das Fleisch ist etwas fester als Filet und zerläuft nicht auf der Zunge, was so viel wie eine sehr komische Anforderung an Fleischware ist. Es bietet anstatt dessen ein Kauerlebnis, das immer Spaß macht und nicht zu lange dauert. Und nein, das Bild bewegt sich nicht in Zeitlupe.

Bisher könnte man meinen, das Nationalgericht Argentiniens wäre Rindfleisch. Das stimmt sicherlich auch zu Teilen, insbesondere die Asados müssen sensationell sein. Wir hatten leider nicht die Gelegenheit an dieser ganztägigen familiären Tätigkeit teilzunehmen, aber man muss ja nicht alles tun, kann sich trotzdem eine Meinung bilden und diese dann als Tatsache in die Welt hinaustragen.
Zumindest was Buenos Aires betrifft, kann die Tatsache von oben widerlegt werden. Durch den mehrheitlichen Anteil an italienischstämmigen Bewohnern hier – deswegen sprechen sie auch anders und helfen ihren Aussagen mit der Gestik, bei welcher Daumen, Zeige-, Mittel- und Ringfinger sich oberhalb der Handinnenfläche berühren, wo bei der kleine Finger ausschließlich den Ringfinger berührt, dann wird der Ellenbogen zu 90 Grad gebeugt, sodass der Unterarm nach oben zeigt und das Handgelenk wird geschickt nach vorne und wieder leicht zurück gekippt, zur Verstärkung des Ausdrucks wird die zweite Hand in identischer Weise verwendet und bei nahe vor dem Gesicht zusammengeführt, ohne mit der Bewegung aufzuhören – stehen andere Gerichte ganz oben auf der Liste von Dingen, die es hier zu probieren gibt.
Fangen wir direkt mit der größten Kontroverse an, zu der es kommt, wenn Italiener auswandern und dann italienisch kochen. Bum Zack, direkt reingetappt. Der Witz an der nun folgenden Diskussion um Pizza ist doch, dass jemand der beispielweise auswandert und sich mit anderen Begebenheiten umgeben sieht, sich vielleicht anpasst, aber dabei seine Wurzeln nicht komplett über Bord wirft. Dann entstehen famose neue Kreationen, die es einfach nicht mit der "originalen" Küche zu vergleichen gilt. Deswegen gibt es ja auch so viele valide Pizzen. Neapolitanisch, Lieferdienst-Family-Pizza, die Ofenfrische, Chicago-style oder Normal.
Hätten wir das auch geklärt. Damit direkt rein in die Fugazza. Namentlich ein Portemanteau-Wort, wie wir alle wissen. Foccacia und Pizza amalgieren logischerweise zu Fugazza. Normale Pizza gewohnt, weckt dieses Käserad keine großen Hoffnung. Aber der scheint trügt.
Der dicken Boden ist knusprig, innen weich und ist so weit von einem dicken trockenen Streifen Teig entfernt, wie ich vom in Fahrradfahren als Freizeitbeschäftigung. Die einzigen Beläge sind karamellisierte Zwiebeln und davon sehr viele und Käse, davon auch nicht wenig, außer man bestellt noch anderen Belag. Mehr Geheimnisse gibt es nicht. Es sieht pervers aus, aber schmeckt exquisit.
Wo wir schon bei runden Dingen sind, ist bestimmt nicht aufgefallen, dass das dritte keine Fugazza ist, sondern eine Tortilla. Der ähnliche Käseanteil lässt sie zum verwechseln ähnlich aussehen. Was sie gemein haben, ist, dass sie mich beide umhauen. Es ist zwar ein echt heftiges Gericht, aber nicht so schlimm, wie man mein. Der Kartoffelkuchen ist trotz der geschmackschluckenden Kartoffel überaus gut gewürzt und der Roquefort im Inneren bietet mit seinem Schimmligsein einen weiteren perfekten Kick.
Bestellt wird im Übrigen gemäß Garstufe. Durch, medium oder flüssig sind die Wahlmöglichkeiten. Wer braucht da Fleisch, wenn man sich hier schon so toll fühlen kann, wenn man dem Kellner stolz verkündet "Medium, ich bin nämlich ein richtiger Kenner".
Zu guter Letzt, und dann lass ich euch auch erstmal wieder in Ruhe, komme ich zur ultimativen Argentinienkombo. Fleisch mit Käse.
Schnitzel Milanese - vermutlich das wahre Nationalgericht - gibt es in relativ vielen Ausführungen.
Da es mein einziger Ausflug in die Welt der mit Tomatensauce, Schinken und Käse überbackenen Schnitzel sein wird, lange ich beim Milanesa Neapolitana Tradicional zu. Für alle nicht Spanischsprechende: Traditionelle neapolitanische Milanese. Ich bin für meinen Teil etwas enttäuscht. Es ist im Gegensatz zu den zwei Gaumenschmäusen zuvor nur Fleisch mit Tomatensauce, Schinken und Käse. Aber jetzt auch nicht schlecht. Würde Sonntagabend schonmal auf nen Heißhunger gehen.

Damit sind wir auch am Ende dieser kulinarischen Reise. Ich kann ehrlich behaupten keine einzige der Magenverstimmungen gescheut und mich in einem kleinen Teil der Weltküche gut umgeschaut zu haben.
Nachdem ich die ersten 11 Wochen in Neuseeland und Australien Hunger gelitten und kulinarische Einöde passiert habe, mit Essig und scharfem Sambal in Südostasien die Geschmackknöspchen an den Rand ihrer Fähigkeiten gebracht habe, die gastfreundliche und einmachfreudige Welt Zentralasiens kennengelernt habe, mich durch alle 3000 Kartoffelarten der Anden gegessen und mir zu guter Letzt mit Hotdogs und Fleisch den Magen vollgeschlagen habe, kann ich nur eines sagen: Ich bin satt und es war verdammt lecker.
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