Arm und reich zu gleich
- Alex
- 22. Nov. 2023
- 8 Min. Lesezeit
Unsere nicht nur kulinarische Reise geht im Affenzahn weiter und führt uns schnurstracks nach Bolivien. Aktuer Zeitmangel führt dazu, dass sich sowohl der Beginn als auch das Ende des kulinarischen Reiseabschnitts in La Paz befinden. In Summe halten wir uns ganze fünf Tage, im, mit ein paar Sicherheitshinweisen belegten, Land auf. Dreieinhalb davon im höchstgelegenen Regierungssitz der Welt. La Paz ist nämlich nicht die Hauptstadt Boliviens, Sucre übernimmt diese Pflicht. Eine sucresüße Geschichte übrigens, wie das zu Stande kam.
Vor der Anreise begleiten uns dann noch ein paar Gedanken zum Thema Sicherheit, weil man halt so einiges liest. Als sich dann aber herausstellt, dass mit der Firma Doppelmayr sogar Österreicher dieses Land besucht haben, um die Gondeln der Stadt zu installieren, sind alle Vorbehalte wie weggewischt. Gondeln fahren in La Paz ist übrigens das leinwandste was man sich nur vorstellen kann.
Nicht zu übersehen und Erkenntnis Nummer eins, ist die weibliche Dominanz in den Straßen. Straßenverkauf von Gemüse, Obst, unisnnigem Schnickschnack oder eben Streetfood wird so gut wie ausschließlich von Frauen praktiziert. Meist von Cholitas.
Die etwas skeptischen Frauen, meist älteren Kaliber, prägen das von Armut gezeichnete Stadtbild ungemein. Leicht zu erkennen an ihren dicken Röcken, den zu kleinen Hüten und dem ultimativen bolivianischen Schönheitsmerkmal, strammen Wadeln. Ihr Vertrauen muss man sich über die Jahre verdienen, dann ist man sich eines freundlichen und starken Rückhalts aber sicher.
Vorwegzunehmen ist die unglaubliche Dichte an Streetfood und die leichte Zugänglichkeit. Im Vergleich zu Peru, wo die Küche in Restaurantküchen stattfindet, haben wir hier gar kein Problem, ausreichend Straßenstände mit neuen Erlebnissen für meinen kleinen und Sonjas großen Mund zu finden.
Dann mal rein. Wir sind vor einer Stunde angekommen, es ist Mittag und wir haben Hunger Hunger Hunger. Keinen Durst, wir trinken ausreichend auf unseren Busfahrten, auch essen wir nicht unseren Nebenmann oder -frau, dann wäre es doch bedeutend langweiliger auf dieser Reise. Der Mercado Lanza stellt sich als eigentlich perfekter Ort für diese Notsituation dar.
Das Labyrinth aus kleinen Essenskojen hat bestimmt vier Stockwerke und fünf zueinander mehr oder weniger parallel nach oben oder unten laufenden "Straßen". Ja Labyrinth trifft es gut. Irgendwie hat aber fast alles zu. Ergo, wir gehen zur erstbesten Lady und bestellen, was sie zu bieten hat.
Empanada con Queso kommt roh aus der Kühlbox und direkt in das heiße Fett. Vor dem frittieren sieht es ein wenig so aus wie der Abdruck für die Zahnschiene eines Menschen mit einem noch größeren Mund als Sonja. Dieses erst flache Gebilde geht dann schnell auf wie ein Luftballon, kurz nachdem Punkt beim Aufblasen, wo die Backen so doll stechen und man fast keinen Widerstand mehr verspürt.
Drinnen ist, wie der Name schon sagt, mit Käse. Nicht zu viel, sodass man genug Geschmack von frittiertem Teig hat, aber auch eine leicht salzige Note. Gekostet hat der Empanada einen Cent pro Backzeit. Zu unserem Glück war alles innerhalb von 60 Sekunden fertig.
Damit nicht genug von frittiertem Teig. Dieselbe Köchin, im wohl saubersten Streetfoodstand, den ich je besucht habe (Deutschland eingeschlossen), liefert uns mit Bunuelos gleich die nächste Teigfrittation. Sie nimmt ein Stück Teig, das absichtlich so aussieht, wie wenn ich Pizzateig ausrolle und dann versuche ihn auf das Blech zu hieven.
In Sekunden ist er beidseitig gebräunt und bietet was Teig, Fett und Hitze halt so liefern. Nach Rückfrage (auf Spanisch versteht sich) erfahren wir, es ist hier so leer, weil es sich hauptsächlich um den Ort für Mittag- und Abendessen für die arbeitende Bevölkerung handelt. Heute ist Samstag.
Noch hab ich nicht genug und stolpere über drei Bolivianische im Weggla. Für alle nicht Oberpfälzer oder Franken: Chorizo Bratwurstsemmel. Die kleinen Racker liegen in einem brodelnden Sud, wonach ich schließe, dass die notwendige Mindestgarzeit auf jeden Fall erreicht ist und ich bedenkenlos zugreifen kann. Im Ciabatta serviert mit einer Art Kohl-Reddish, Mayonnaise und Senf. Die bereitstehenden eingelegten Zwiebeln, Chilis, Gurken und vieles mehr bringen mich dann der Ekstase nah. Ein kleines Löffelchen Schärfe, hausgemachte Salsa und man könnte meinen es ist vollkommen.
Die Chorizos "passen schon" wie der ekstasische Franke sagen würde und der Kohl ist etwas wenig angemacht. Ansonsten schmeckt das aber alles ganz wunderbar zusammen. Am nächsten Tag probiere ich das gleiche nochmal, diesmal anstatt Kohl aber eine Art Karotte-Zwiebel-Gurke-Salsa und damit ist es dann wirklich komplett.
Retrospektiv hat uns das Streetfood damals in Lima - Peru etwas untereuphorisiert und wir wollen vermeiden, dass es nur an unseren Sucherqualitäten liegt. Die Existenz der Serie "Streetfood Latin America" bietet Abhilfe. Die Serie bestätigt unseren Eindruck, dass die Cholitas das kulinarische Rückgrat des von Armut und Korruption gebeutelten Landes sind.
Am Folgetag und auf den Schock der sehr jungen politischen Geschichte von welcher unser Free-Walking-Guide Daniel berichtet, benötige ich erstmal Teig mit Füllung. Wir kennen ja schon Panadas, Empanadas, Samosas und Samsas. Jetzt kommt die bolivianische Version dazu. Saltenjas sehen den allen schon sehr ähnlich aber diesmal ist der Inhalt nicht einfach gewürztes Fleisch, Kartoffeln oder Käse sondern ein ganzer Eintopf.
Der Teig ist süßer und die Füllung sehr flüssig, sehr würzig und extrem salzig. Die Kombination mit süßem Teig und salzigem Inneren ist grandios, aber mit dem Salz wurde zumindest hier etwas übertrieben. Wie gut man diese heiße Tasche mit Flüssigfüllung essen kann, gibt anscheinend Auskunft darüber, ob man ein guter Bolivianer ist. Trotz meines Teints und dem dunklen Haar bleibe ich wohl Deutscher.
Wer glaubt es ist langsam genug für die limitierte Zeit, die wir uns in La Paz aufenthalten, der täuscht sich sowas von gewaltig. Am letzten Tag ist mein Magen um 13:30 Uhr so voll wie vermutlich noch nie auf dieser Reise. Auch nicht schwer wenn man bedenkt, dass ich mich in den ersten zweieinhalb Monaten in Neuseeland und Australien morgens mit einem Löffeln feuchter Haferflocken plus einer Scheibe Banane und Abends mit 125g Nudeln zufrieden geben musste.
Der Tag startet um 8:30 Uhr mit zwei Tassen Kaffee und zwei eher kleineren Semmeln. Weiter nicht erwähnenswert. Um 9:30 Uhr suchen wir die berühmte Donna Emilia bei einem Stand ihres bescheidenen Cholitaimperiums auf. Groß geworden ist sie mit Rellenos und nichts anderes verkauft sie bis heute an mehreren Ständen in der Stadt.
Der Klassiker sind die fast faustgroßen leicht frittieren Bälle aus Kartoffel mit würziger Fleischfüllung. Die Konsistenz erinnert stark an Knödel und die fleischig Füllung macht die Kugel nicht weniger mächtig. Die Kartoffel schluckt aber fast jeglichen Geschmack. Dafür haben die Cholitas vorgesorgt. Sie bieten acht verschiedene Salsas zum Bedienen. Tomate, Gurke, Kohl, Zwiebel und viele Schärfe- und Säurezwischenstufen katapultieren den Straßensnack in die Herzen der Bolivianer.
So ich hab jetzt keinen Hunger mehr, aber Pflichten. Eine Version aus Plantain, also Kochbanane, anstatt Kartoffel gibt es auch und sie will probiert werden. Selbes Bild wie zuvor, vom Inhalt bleibt wenig Merkliches, aber die Salsas, diesmal in Kombination mit der etwas süßeren Kugel geben ein verändertes Bild, aber kein minder gutes.
Es ist fast 11 Uhr, ich bin maßlos überfressen, aber der nächste kulinarische Termin steht auf der Tagesordnung: Gönnung
Bisher haben wir uns primär einfachen, klassischen und sicherlich auch günstigen Gerichten gewidmet, aber damit ist jetzt für ein, zwei Stunden Schluss.
La Paz beheimatet das Michelin-Guide gelistete Restaurant Cocina Popular Boliviana und die Kombination sehr gute Küche und extrem armes Land ergeben dann ein Drei-Gänge-Mittagsmenü inklusive Getränk für 11€ pro Person. Noch dazu meine erste kulinarische Erfahrung dieser Art. Ich versuche mich mal daran, Worte für das zu finden, was ich da bekomme. Die Bilder an sich sagen zum Glück aber schon viel.
Erstmal aber müssen wir Schlange stehen. Da man nicht reservieren kann und das Restaurant nur von 12:30 bis 14:30 geöffnet hat, treffen wir uns um 11:30 mit Cloe, Jasper, Anna und Tom vor dem sehr professionell und stilvoll wirkenden Restaurant.
Von folgendem Menü entscheide ich mich für chank'a de pollo als Vorspeise, wähle das menudito als Hauptgericht und teile mit mit Sonja sandia und api con pastel zum Nachgang.

Der Start sieht schonmal gut aus. Eine nicht fettige und kaum salzige Hühnerbrühe mit einer Note Minze ist durchaus besonders aber löst noch keine Jubelstürme aus. Darin versenkt ist ein kleines Bällchen aus Hühnchenfleisch mit echtem Knochen. Weil ich mir erst nicht vorstellen kann, dass diese kleinen Hühnchenknochen ausgelöst und oder ausgekocht werden, um dann in eine Hühnchenmasse gesteckt zu werden halte ich es erst für etwas anderes und will schon fast zubeißen. Mein haptisches Sinnesorgan lässt mich dann aber nochmal prüfen, bevor ich den Mund voller Knochensplitter habe. Daneben präsentiert sich ein Mini-Causa (Kartoffelturm) mit roter Beete sowie ein Blatt Plantain in meiner Suppe. Was das grüne Etwas ist, mussen Sie den Trainer fragen und nicht mir.
Im Gesamten ist es eine sehr gute Suppe, die übrigens erst am Tisch aufgegossen wird, mit diversen Einlagen unterschiedlicher Texturen und Geschmäcken, aber umgehauen hat es mich bis dato noch nicht.
Der notwendige Hieb fürs Umgehauenwerden, wird im Tontopf serviert. Das Menudito ist ein doppeltes Trio. Im Inneren versteckt sich ein Eintopf mit dreierlei vom Fleisch. Rind, Hühnchen und noch was. In seiner extrem schönen Cremigkeit wird er nur von einem Bestandteil der Nachspeise geschlagen. Geschmacklich strotzt der Eintopf vor Limette und rotem Pfeffer wodurch er neben sehr präsentem Umami auch kräftige Zitrusaromen und blumige Noten bereit hält. Neben Fleisch finden sich bei genauer Suche auch drei Maisarten im Topf. Nicht zu übersehen ist die wunderschöne Garnitur aus dünnen und knusprigen Plantain-Gestrüpp mit kleinen Blüten. Wie man das isst? Was weiß ich. Ich probiere sie "trocken" und mantsche sie dann in den Topf rein.
Das Menudito ist ein absoluter Höhepunkt auf der gesamten Reise. Die Kombination aus lokalen Zutaten, Zitrus, blumigen Noten und deftige Eintopf ist grandios. Über die Anrichte gibt es denke ich nichts zu streiten.
Beim Dessert starte ich mal mit meinem persönlichen zweiten Platz. Api Con Pastel besteht aus einem Käse Empanada neben Api-Sorbet. Nicht verwandt mit dem Application Programming Interface sonder ein Sorbet des lila Mais. Getoppt wird das ganze von Trockenfrüchten und eingerahmt von einer weihnachtlichen Api-Sauce, die leichte aber bestimmte Zimtnoten mit sich bringt.
Eine sehr stimmige Nachspeise mit perfekt abgeglichenen Konsistenzen und einem klaren Geschmacksziel.
Sandia überzeugt meinen Gaumen aber etwas mehr. Die Wassermelonenwürfel sind Api-infused. Wie manch eine:r wohl weiß, halte ich die Wassermelone an sich nicht für eine frisches Obst und an sich für ziemlich langweilig. Der beerige Geschmack des Api löst die geschmackliche Situation mit Bravour. Das dazu platzierte Wassermelonesorbet sucht seinesgleichen. Da es so gut wie ausschließlich frisch ist, wird auch das zweite Problem der runden Riesenfrucht behoben. Klarer Gewinner auf diesem Teller ist die Ananascreme. Leicht süßlich mit einem Hauch Ananas überzeugt es schon die Geschmacksknospen. Meine Mundgefühlsknospen bestehen darauf, dass diese Creme das cremigste ist, was ihnen je begegnet ist. Ich weiß nicht wie ich es anders beschreiben soll. Es ist einfach unglaublich weich, verflüssigt sich nicht sofort und füllt den Mund mit einer runden Konsistenz.
Wir können uns nicht ganz entscheiden wer den weißen Ball essen darf. Teilen kommt nicht infrage, dann würde der Sinn des Balls verloren gehen. Cloe teilt uns (glücklicherweise) mit, dass die Praline aus weißer Schokolade eine Alkoholikakomponente enthält, woraufhin Sonja freudig zurückzieht. Im Mund passiert folgendes. Die süße Schokolade knackt auf. Flüssige Tropenfrucht, süß und sauer, verteilt sich. Leichter Schnapsgeschmack mischt sich dazu. Dann kommt alles in einer abwechslungsreichen Masse zusammen, die von nichts zu viel hat.
Sonjas Gerichte müssen natürlich auch noch Erwähnung finden, da sie nicht minder außergewöhnlich waren. Eine umfassende Beschreibung ihrer Gefühlswelt beim Verzehr fehlt aber, weil sie sich seit Beginn der Reise um einen Gastbeitrag hier weigert.
Vorspeise Sonja: ensalda rusa
Rote Beete und Kartoffelwürfel in einer Biscuitteigschale getoppt mit süßem Schlagrahm. Schöne Details mit salziger Pekanuss, rote Beetestreifen und Fake-Kaviar. Sehr schöne Kontraste.
Hauptspeise Sonja: pastel de fideo
Zwei Nudel-Kuchenstücke mit Lagen aus Aubergine. Einerseits glasiert mit einer Bechamel-Käse-Sauce und andererseits mit einer Rote-Beete-Tomaten-Glasur. Sonja findet es sehr rund und komplett mir fehlt etwas Säure sowie Salz, um eine schönes Umami für dieses Gericht zu generieren.

Und das wars auch schon. Zwei Probleme gibt es jetzt aber. Auf der Reise wird wohl nichts mehr in Sachen Geschmack und Preis-Leistung an das heran kommen und wenn ich daheim bin, muss ich wohl mal Sterneküche ausprobieren.
Wer hätte es gedacht, dass Bolivien mit solchen Köstlichkeiten aufwartet. Das Spektrum von spektakulärem Streetfood zu einem Ausflug in die Welt der gehobene Küche ist einzigartig. Dennoch, zu kurz war die Zeit hier in diesem Land, das es nicht leicht hat. Armut, Korruption, politische Unsicherheit und vieles mehr halten die Menschen hier zurück, die offensichtlich zu so viel mehr im Stande sind.
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