Vom Drehspießsandwiç
- Alex
- 17. Sept. 2023
- 7 Min. Lesezeit
Da sich um Fleisch vom Spieß in Brot ja so einige Rätsel ranken und so einige Organisationen meinen, sie revolutionieren mit gebratenem Gemüse die Fleischspießwelt in Deutschland, spiele ich jetzt mal den Rätsellüfter und Rufzerstörer. Schritt eins besteht darin zu sagen, dass der Türkitsch doof und nicht sein Geld wert ist und Schritt zwei ist, Berlin den letzten Funken Authentizität zu nehmen.
Nein, der Döner kommt nicht aus Berlin. Wo genau er herkommt ist schwer zu sagen, dass es irgendwo in der Türkei ist, ist relativ sicher. Um sich dem Kern zu nähern, schauen wir uns mal genauer an, wie das Drehspießsandwich oder der Döner, wie er hier noch genannt werden darf - VERBOTSKULTUR!!elf! - hier funktioniert.
Also eigentlich ganz gut. Ich muss mich nicht schämen, wenn ich schon wieder Döner essen will. Ich muss nur auf den unbekannten türkischen Beinamen zeigen (die verschiedenen Namen der Dönervarianten erspare ich euch, weil ich sie mir weder aufgeschrieben noch gemerkt habe) und habe die perfekte Begründung. Was sollen meine vier Leser:innen denken, wenn ich das jetzt nicht probiere?
Bevor wir zum meist metallischen Kern des Drehspießes kommen, lüfte ich gleich das nächste Rätsel. Viele kennen es: Man besucht in Deutschland einen Dönerladen zum wiederholten Male und plötzlich wird man vom, häufig als "Dönermann" bezeichneten, Koch, Verkäufer und Inhaber freundlich mit "Hey Chef" angesprochen und ab sofort immer erkannt und freudig begrüßt.
Falls schonmal jemand hinterfragt hat, wieso das nur hier und nicht in ähnlichen Etablissements passiert, hier ist die Antwort. Sie lautet leider nicht, dass er das tut, weil du so nett lächelst oder mal 50 Cent Trinkgeld dagelassen hast. Ganz einfach: Türken sind nett. Du bist in dieser Hinsicht nichts besonders, er begrüßt bestimmt nicht nur dich mit "Chef". Sorry. Aber wie schön eigentlich. Sie freuen sich tatsächlich über Kunden und sitzen nicht griesgrämig in ihrem Laden, kacken jeden an der außer Geld vielleicht noch einen Satz da lässt und beschweren sich dann, dass niemand mehr kommt. Und hier ist jeder so. Ganz gut auszuhalten.
Ich habe schon so viel eindimensionales auf dieser Reise gegessen, da kommt mir sehr entgegen, dass der Döner schön vielschichtig ist. Darum kümmern sich die Türken hier sogar noch selber. Spricht für die Frische, jedoch ist es leider kein sehr appetitanregender Anblick, wie kiloweise rohe Fleischfladen übereinander geschichtet und der dann austretende Fleischsabber mit den Händen nach oben und unten verschmiert wird.
Jetzt stellt sich mal jeder den letzten Döner vor, den er gegessen hat. Vermutlich war das eine Art Pitabrot - das für meinen Geschmack immer ein bisschen zu weit aufgeschnitten wird - welches dann mit Fleisch vom sich drehenden Spieß sowie Salat, Zwiebeln, Tomaten, Blaukraut sowie Jogurt und noch so einer Sauce im Verhältnis 1:1:1:1:1:1:1 befüllt wird. Mit dem Beisatz "mit scharf", der sich schon viel zu sehr in der deutschen Sprache etabliert hat, bekommt man noch rote Chili Flocken aus einem Aluminium-Pommes-Salzer.
Hier ist das ein wenig anders. Es gibt zu aller erst drei verschiedene Brotarten welche den Namen Döner für das Endprodukt nicht verändern. Variation eins, am häufigsten in türkischen Händen zu sehen, ist ein dünner Teigfladen, in den alles eingewickelt wird. In Sonjas kleinen Händen sieht er dann sogar noch größer aus - praktisch für mich. Daheim besser bekannt als Dürüm. Hier wird das Ding dann aber noch mit etwas, das an rote Bratensoße erinnert, leicht beschmiert und angebraten. Aufregend.
Nummer zwei kommt im getoasteten Weißbrot. Sehr fluffiges Weißbrot, nicht mächtig. Nummer drei dann das auch daheim bekannte Pitabrot, nur ist es hier deutlich dicker. Nicht mein Favorit, da bevorzuge ich die idealerweise frisch zubereitet Version von bei mir um die Ecke.
Neben der Brotwahl ist der zweite Unterschied das Verhältnis sowie die Füllzutaten. Kein Kohl, weniger Salat, in meinem Fall keine Tomate, weniger Zwiebeln, mehr Fleisch, Pommes und weniger Sauce und ganz entscheidend mit Essiggurken.
Was sagen wir jetzt dazu? Wenn man glaubt, dass Fleisch sei besser weil frischer oder so, dann gibt das ja durchaus Sinn. Es schmeckt auf jeden Fall sehr lecker und nicht zu fleischig. Auf der anderen Seite fehlt ohne die Unmengen Gemüse schon etwas Frische. Die Essiggurke kämpft widerspenstig zwischen den Fleischfetzen für ein kühl-feuchtes Gefühl und ich muss sagen, sie schlägt sich mehr als wacker. Das ist definitiv etwas, das ich am Döner hier schätze. Die Nichtverfügbarkeit von 12 verschiedenen Saucen finde ich erstmal okay. Der Döner schmeckt hier vielleicht etwas einseitiger aber halt nicht ausschließlich nach den weißen und roten Soßen.
Im Groben und Ganzen sind es zwei verschiedene Produkte, beide mit ihren Vorteilen. Aber die Drehspießlenker hier haben noch einen Trumpf im zurückgekrempelten Ärmel. Eingelegte Chilis oder Tschallapenjos zur freien Verfügung an jedem Tisch. Ich wünschte meine letzte Salbung würde damit durchgeführt. Zu jedem Bissen führe ich gleichzeitig eine kleine grüne Schote in mich hinein.
Neben Döner mangelt es definitiv nicht an Brot-Fleisch-Kombinationen, die wir uns regelmäßig einverleiben. Wie pide, Sonja ist Fleisch? Natürlich nicht, Käse steht auch als Belag zur Verfügung. Die kleinen Teigschiffchen werden immer frisch im Steinofen zubereitet und tragen nicht zu Unrecht den Namen "türkische Pizza". Die zwei Alleinstellungsmerkmale sind der Teig und wie alt der drahtige Mann ist, der ihn knetet.

Hat beides Charakter, dann ergibt das ein gutes Pide. Die Beläge sind nicht zu aufregend. Feines gewürztes Hackfleisch, grobes gewürztes Hackfleisch mit bisschen Gemüse oder halt Käse. Klingt langweilig. Aber Teig mit Tomatensauce und Käse klingt auch langweilig.
Was es aber noch zu erwähnen gilt, ein Pide reicht für ein Mannsbild meiner Statur nicht aus. Glücklicherweise reichen die Türken einem ungefragt einen Salat dazu, der obendrein umsonst ist. Jetzt sagen die, die es noch genauer nehmen als ich - und das ist schon eine Art Herausforderung - dass nichts umsonst ist. Ist einfach schon eingepreist. Mir egal, mein Schwabenherz glüht.
Wo auf dieser Welt gibt es denn noch was umsonst? Hier offensichtlich. In vergangen Zeiten war der obligatorische Tee auch überall umsonst, aber der tägliche Kampf der kleinen Frau gegen die Inflation hat selbst diese uralte türkische Tradition gebrochen.
Das Finale der drei "man nehme Teig und Fleisch" versuche ich verzweifelt zu verstehen. Lahmacun ist immer das mit Abstand günstigste auf der Karte. Es ist auch kein Essen für die Massephase. Hauchdünner knuspriger Teig mit einer Paste aus Hackfleisch, Tomaten, Paprika und was da halt sonst noch so reinkommt.
Das entscheidende ist aber die Zitrone, deren Saft man über den Fladen verteilt. Dann kommt der Teil, den ich vergeblich zu ergründen suche. Beim ersten Mal gibt es separat Salat, Kraut und Petersilie, um den Lahmacun damit zu belegen und dann zusammenzurollen. Ein anderes Mal ist mein Lahmacun geschnitten wie eine Pizza, ergo kein Rollen. Dann wiederum erhalte ich einen Lahmacun mit den ungefähren Maßen 20x50cm, der dann in der Mitte einmal zerteilt ist. Kein Salat oder Gemüse dazu.
Ich verzweifle schier, mir den "echten" Lahmacun und seine Verzehrweise zu erschließen, scheitere aber kläglich. Was ich weiß, Zitrone ist unerlässlich und macht daraus ein ganz anderes Geschmackserlebnis. Könnte man ja auch mal beim Döner versuchen.
Zum Essen und Trinken gehört bekanntlich ja auch Trinken. Hierzu möchte ich noch den Gewinner in der Kategorie "Ehrlichstes Getränk" erwähnen. Ayran gewinnt die goldene Trinkflasche in stylischem Flieder mit großem Abstand. Stilles Wasser wurde aufgrund seiner Überheblichkeit vom Wettbewerb ausgeschlossen.
Ayran ist einfach ehrlich und passt irgendwie zur Türkei. Jogurt, Wasser und Salz, das ist alles was da drin ist. Keine Geschmacksfarben und Verstärkerstoffe. Jetzt kommt vermutlich jemand, der seinen Zinkhaushalt auswendig kennt und sagt, dass Salz auch nicht so gut ist. Wenn man vier Liter Ayran am Tag trinkt, hat man seinen Tagesbedarf schnell überdeckt. Ha, wir trinken nur circa einen Liter pro Person pro Tag. Sehr erfrischend, Schärfe neutralisierend und keine verrückten Aromen. Das und nicht mehr braucht es zu einer türkischen Mahlzeit.
Zum Abschluss möchte ich die Leser noch auf eine kleine Reise mitnehmen. Stelle dir vor, es ist ein kühler Sommermorgen, man merkt aber jetzt schon, dass die 30 Grad Marke heute fallen könnte. Die Temperatur ist angenehm, eine leichte Brise schmiegt sich um deine nackten Arme und dir ist fast ein wenig kalt. Es ist noch früh, aber du bist schon auf dem Weg mit einem Ziel. Die Straßen sind fast leer, trotzdem spürt man schon, dass sich langsam das Monstrum regt, das diesen Ort später laut werden lässt.
Fürs Frühstück war keine Zeit, du musstest los. Du schlenderst mit einem Schritt, der für den Begriff schlendern eigentlich zu schnell ist. Du hast noch einen leichten Geschmack der drei Bier von gestern Abend im Mund, von denen du derart angesoffen warst, weil du seit Monaten so gut wie nichts trinkst. Dazu gesellen sich ein paar Stückchen Restzahnpasta in den Mundwinkeln.
Dein Magen meldet sich und fordert Füllung dadurch, dass er eine gewisse Leere mitteilt. Du kommst an der ersten Bäckerei vorbei, öffnest die Tore und es stellt sich dir gar nicht mal die Frage, was du bestellen sollst. Du räusperst dich kurz und wie einprogrammiert, aufgrund deines Geburtslandes, sagst du: "I kriag a Brezn bitte".
Diese Szene lässt sich so wunderbar an einen schönen Wandermorgen in der Türkei versetzen, mit einem entscheidenden Unterschied. Die Breze heißt hier Simit, ist ein Kringel und mit Sesam ummantelt.
Wären die Breze und Simit gleichzeitig auf den bayrischen Markt gekommen, wer weiß, wer heute die vorherrschende Stellung inne hätte. Wir nutzen Simit genau so, wie wir auch Brezen handhaben. Als Frühstück, kleiner Mittagssnack, Wanderzehrung und, um die Qualität einer Bäckerei nur aufgrund eines einzigen Backstücks endgültig zu beurteilen. Sie sind nicht alle gut.
Die Qualitätsmerkmale sind die gleichen wie beim Laugengebäck. Außen leicht knusprig, nicht zu hart, innen fluffig aber nicht zu feucht. Schön reißen sollte man sie können. Salz wird ersetzt durch Sesam, der im Gegensatz reichlich vorhanden sein muss und hier und da stark angeröstete Sesamsamen (oder Sesamen?) verträgt. Im Gegensatz zum in Artikel 189 der bayrischen Verfassung festgelegten Regel, sind hier Abwandlungen erlaubt. Weniger Sesam oder auch aus einem süßeren Milchteig, alles erlaubt, aber nicht zu vergleichen mit dem Original.
Noch eine weitere Gemeinsamkeit: Kinder lutschen und sabbern Simit genauso gerne an wie Kinder bei uns Brezen. Ob Väter und Mütter das angelutschte Stück mit identischer Gleichgültigkeit essen, bleibt mir verborgen.

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