Salzig, bitter mit Reifenspuren
- Alex
- 5. Juni 2023
- 8 Min. Lesezeit
Der Zeitpunkt von dem ich gehofft habe, er möge niemals kommen, ist da. Ich bereue etwas nicht mitgenommen zu haben. Vergessen hab ich auch verschiedene Dinge, zum Beispiel mein Tauch-Logbuch, aber das hier ist etwas anderes. Ich habe mich bewusst dagegen entschieden und muss nun die Konsequenzen meines Handelns bitter ertragen. Ich kann niemanden beschuldigen. Und so staut sich die Wut in mir an. Ich finde nicht mal einen abstrusen Weg es Sonja in die Schuhe zu schieben. Das sind dann wohl die Schattenseiten einer solchen Reise.
Ich hätte gerne meine Mundharmonika bei mir. Es findet sich sicher viel Verständnis unter den Lesern. Für diejenigen die es nicht wissen, ich zähle seit 2017 zur erlesenen Gruppe der Mundharmonikaspieler, auch wenn meine Qualitäten noch nicht an die der Elite heran reichen. Die freien Stunden dieser Reise wären perfekt, um meinen Fähigkeiten den letzten Feinschliff zu geben.
Zu meiner Beruhigung treffe ich in einem von Sonjas alten Freunden einen Gleichgesinnten. Er ist mit dem selben Talent gesegnet und bewegt sich auf einem ähnlich virtuosen Niveau wie ich. Seine Reise dauert nun schon ungefähr drei Jahre und für ihn hat sich die Mundharmonika bisher nur als totes Gepäck herausgestellt. Das stimmt mich nun wieder deutlich froher und ich bin bereit von weiteren kulinarischen Exzessen zu berichten.
Glücklicherweise werden wir bald wieder zur europäischen Überheblichkeit zurückkehren, uns in jeder Hinsicht bedienen zu lassen und sich ab und zu über den entgegen gebrachten Service zu beschweren. Unsere nächsten Ziele sind dann auch der ersehnte budgetäre Flicken unseres Geldbeutels. Das bedeutet, auch hier finden sich bald keine Ausdrücke wie Camping, Salat oder Käse wieder. Zum Abschluss dieser Zeit, aus der ich sowohl kulinarisch als auch verbal, wirklich mehr rausgeholt habe als zugegen war, möchte ich die wichtigsten Erkenntnisse teilen.
Auf keinen Fall sollte man die einzigen zwei kleinen Teller, eine der beiden mikroskopisch kleinen Schüsseln und einen der beiden großen Teller runterschmeißen, noch sein Campingbesteck im Handgepäck transportieren, sodass sich das Sicherheitspersonal gezwungen sieht, beide Messer zu konfiszieren.
Wie berichtet strotzen die Gerichte, welche mit ausschließlich ungekühlten Zutaten auskommen, nicht vor geschmacklicher Vielfalt. Als wunderbarer Helfer in vielen Situation hat sich Chili Paste erwiesen. Diese Masse aus hauptsächlich Chili und Wasser und daher mit dichter Schärfe hieven jeglichen Wrap, eine belegte Semmel oder Arrabiata auf die nächste Stufe. Das ist bei weitem nicht die oberste Stufe, aber auch nicht die unterste.
Auch wenn Sonja eine richtig coole Socke ist, gibt es für uns meist keine Kühlmöglichkeit, ergo sind Milchprodukte nicht auf unserer faden Diät oder werden am D-day direkt nach den Landung im Van verspeist. Das hat für mich zum Vorteil, dass ich die jahrelange Vermutung, ob Laktose auf meinen Körper wie ein Formbändiger wirkt, nun bestätigen kann. Darüber hinaus zeigt es auch hinlänglich, dass vegane Ernährung in diesem Rahmen mal überhaupt kein Problem ist.
Und nun der Lieblingstipp eines Deutschen, um noch mehr Stereotypen zu bedienen. Es lohnt sich Gerichte penibel zu planen. Heißt, man nehme x Tage und evaluiere exakt wie viele Frühstücks-, Mittags- und Abendmahlzeiten diese Tage beinhalten und sucht sich für jede dieser ein Gericht aus und kauft exakt das ein. Wenn man dann noch die Haltbarkeit der Zutaten bei 35 Grad Celsius im Schatten mitberücksichtigt, stellt man fest, dass es ab sofort jeden Tag Chili Sin Carne gibt oder man halt jeden Tag einkaufen geht.
Spaß beiseite. Wir planen gut und müssen daher nichts wegwerfen und haben am Ende nichts übrig.
Ein echter Trumpf auf unseren langen Autoreise sind bisher die Salate ohne Salat. Wie schön dieser Satz doch zeigt, warum es in anderen Sprachen zwei verschiedene Worte für Salat gibt.
Egal ob Couscous-, Nudel-, Kichererbsen- oder Linsensalat, es ist schnell zubereitet, lässt sich wegtuppern - alleine für dieses Wort liebe ich die deutsche Sprache - und lässt beliebige Variationen mit zum Beispiel getrockneten Tomaten oder roter Beete zu.
Salat bringt uns dann doch noch dazu, uns auch der Aboriginal Küche zu nähern. Wir pflücken Sand Fire, eine Sukkulente die auf Salzpfannen wächst, also von Meerwasser unterlaufene Flächen. Die Früchte nehmen einen salzigen herben Geschmack an. Man kann sich sehr gut vorstellen, wie diese kleinen Pickel ähnlichen Früchte eine milde salzige und herbe Aromatik beitragen. Es bleibt aber beim Konjunktiv. Die Sorge vor Tollwut und die Tatsache, dass unsere Ernte nach einem Tag im Kofferraum vertrocknet ist, vorenthalten uns diese Erfahrung.
Man kann ja viel über Australien sagen, wie dass es hier von zwei Lebewesen eindeutig zu viel gibt, Fliegen und Franzosen, aber das eigentliche Problem sind bequeme Australier und ihre Autos.
Was mir im Laufe unserer Zeit in Western Australia bewusst werden wird ist, dass die Strände zwischen rotem Kernland und Indischen Ozean einem mehr als nur den Atem rauben. Und genau dieser Schönheit berauben einem hier Menschen am Steuer eines Autos mit Allradantrieb. Man kann die Schuld nicht nur auf die Australier mit Vokuhila schieben, denn Touristen sind hier ebenso schuldig, aber die Eltern der Kinder mit schlechtem Haarschnitt erlauben das auch noch. Ein Generationenproblem ist das nicht.
Der gesamte Strand einer sonst unberührten Lagune ist von Reifenspuren, regem Verkehr und Schildern "4WD only" gezeichnet. Beim Sonnenbaden am Strand ist es keine unbegründete Sorge überfahren zu werden. Lärm, Abgase, Reifenspuren am Strand und 18- oder 92-jährige an den fast unzugänglichen Flecken der Natur machen die Idylle dieser eigentlich träumerischen Wildnis zunichte. Es fühlt sich in etwa so an als würde einer dieser riesigen Trucks, welchem wir auf seinem Transport in eine Mine begegnen, hier täglich durchrauschen.
Ein wenig Genugtuung erlangen wir dann doch noch, als ein wohlgenährter der Boomergeneration mit Tanktop hinterm Steuer am Strand stecken bleibt.
Glücklicherweise werden uns nur vereinzelt schöne Flecken vermiest, ein paar bleiben uns dann doch erhalten.
Ich hatte erwähnt, dass mich eine Wurstlust überkommen hat. Sie wurde nun eher weggewidert als befriedigt. Auf hoher See gibt es zur Stärkung für den nächsten Tauchgang Hotdogs. Weich, hautlos und mit Unmengen gewürzt, als würde man irgendeine unschöne Wahrheit des Fleisches versuchen zu verstecken. Ich esse zwei. Geschmacklich zwei zu viel, aufgrund der rauen See aber mindestens einer zu viel. Damit ist diese Sehnsucht erstmal vom Tisch.
Schon komisch, dass man sich nach einem Ideal sehnt, dann eine Enttäuschung erlebt und auf einmal dem Ideal nicht mehr nacheifert, obwohl das eine mit dem anderen nichts zu tun hat.
Die Wurst war so scheiße, dass mir direkt philosophische Gedanken kommen.
Noch etwas zur Zubereitung. Gegrillt wurde auf einer Grillplatte. Diese hab ich noch nie so richtig verstanden. Benutze doch einfach eine Pfanne anstatt eine sündhaft teure Tabanjaki Platte auf deinem grünen gusseisernen Kugelgrill. Aber für nen Haufen Zwiebeln hat es sich schon gut bewährt.
Neben dem Kapitän der uns diese Köstlichkeit zubereitet hat, habe ich noch ein Intermezzo mit einem zweiten australischen Koch. Ein 20-jähriger Backpacker verkündet, bevor er sich daran macht Nudeln mit einer Zucchini-Tomatensauce zuzubereiten, er koche ja schon viel in seinem Van. In unmittelbarem Anschluss möchte er meine individuellen Präferenzen auf einem speziellen Gebiet der Kulinarik erfahren um meinem Geschmack gerecht zu werden.
Ob ich denn die Nudeln immer ins kalte Wasser lege und erhitze oder erst wenn das Wasser kocht. Haltung und Anstand wahrend entgegne ich zweiteres und ziehe mich zurück. Das kochen übernimmt dann zu meiner Erleichterung ein anderer Alex.
Nachdem sich die Zeit geprägt von Floskeln wie "How's it going mate", "I reckon" und "The small beer is 13 dollars" sich dem Ende neigt, gibt es noch ein paar lokale Spezialitäten zu ergründen. Die nachfolgenden Nahrungsmittel sollen keine representative Auswahl weit verbreiteter Speisen sein, spiegeln ihn ihrer Komplexität und Diversität jedoch die uns widerfahrene Welt.
Auf der Zielgeraden werde ich genötigt Dosenthunfisch mit Essig zu verzehren. Genötigt weil meine bisherigen freiwilligen Entscheidungen mir nur Thunfisch als Steak oder "Steg", oder Sashimi beschert haben. Der Geruch von Thunfisch aus der Dose hat jegliche Ablehnung gegenüber dem zerfledderten Fischgebatz, sei es auf Pizza, in Nudeln oder im Salat, nur bestärkt. Die vergangene finanzielle Situation meiner Begleiterin und ihrer Begleiterin in diesem Land haben sie jedoch veranlasst diese durchaus erschwingliche Meeresfrucht zu verspeisen. Üblicherweise mit Essig direkt aus der Dose. Das steht mir nun auch bevor.
Zögerlich und mit äußerster Vorsicht vermische ich den Fisch, bei welchem die Produzenten:innen selbst den Versuch unterlassen ihn wie Seinesgleichen aussehen zu lassen, mit Apfelessig. Leicht zittrig und nach Überwindung strebend platzieren ich eine Portion mit der Größe eines Zeigezehnagels in meinem Mund.
Was sich dann vergegenwärtigt ist reinstes Erstaunen. Der fasrige Klumpen schmeckt gar nicht wie er riecht. Ich probiere mehr. Der Hauptgeschmack ist die Säure des Essigs aber es verbreitet sich kein unausstehlicher Geschmack nach falem Fisch in meinem Mund. Blitzschnell schalten meine Synapsen beim Anblick meines verbleibenden Mittagssnacks. Die Semmel mit Humus, Gurke und Blattspinat wird umgehend mit in Essig getränktem Thunfisch belegt und verschlungen. Echt okay.
Ich beschließe meine immer noch gegenwärtigen und strengen Vorbehalte gegen Dosenthunfisch vorerst abzulegen und auch mal eine Pizza Tonno zu probieren, auch wenn die Vorstellung mir nach dieser positiven Erfahrung immersion Ekelperlen im Nacken aufstellt.
Teil zwei der australischen Kulinarikspannweite hat einen ähnlichen Ursprung und vergleichlich viel mit dem Land des Südens (lat. australis: Süden) zu tun. Hierfür müssen wir uns in die Welt der Schnellküche begeben. Domino's Pizza heißt der Wirt. Ironischerweise bereitet jedes italienische Restaurant eine Pizza schneller zu als diese Restaurantkette, die um das direkt vorwegzunehmen nicht den Anspruch hat, eine belegte Teigscheibe herzustellen, die dem des Italieners um die Ecke gleich kommt. Es handelt sich schlicht und ergreifend um etwas gänzlich anderes. Wer die Pizza mit Vergleichen wie "Der Boden ist aber nicht so schön dünn und knusprig wir bei Giacomo" niedermacht hat etwas nicht verstanden, es gibt Pizza die keine italienische ist und sie hat ihre Existenzberechtigung. Ich werde die Pizza von Domino's schlecht machen ohne mich dieser Vergleiche zu bedienen.
Ungleich zu Teil 1 weiter oben ist auch hier das Preisniveau von 2014 ausschlaggebend. Die Wahl des Belags lässt sich damit aber nicht rechtfertigen und ich werde diesen geschmacklichen Ausrutscher meiner Partnerin ihrem jugendlichen Leichtsinn zuschreiben und ihr gleichermaßen vergeben.
BBQ Chicken & Rasher Bacon. Eigentlich sagt der Name schon alles, aber ich führe mal aus. Der Boden ist etwas dicker, entspricht jedoch noch nicht der amerikanischen bzw. Chicago style. Die Textur ist gut, knusprig und leicht. Auch geschmacklich nicht verkehrt, aber es fehlt Salz. Das meine nicht nur ich, dem man durchaus einen Sakzkonsum der sich gewaschen hat, zuschreiben kann, sonder Sonja pflichtet mir bei. Bei dieser Feststellung stellen sich mir so viele Fragen. Wenn man etwas so hochgradig standardisiert, wie kann sowas passieren. Naja.
Die Größe entspricht in etwa einer TK Ristorante Pizza und mit 16$ ist der Bums dann auch gut bezahlt. Ich werde aber auch beim Joggen vier Stunden später noch etwas davon haben.
BBQ- anstatt von Tomatensauce ist nicht meins. Die Säure der Tomaten fehlt und die Sauce verbreitet zu viel Süße mit dem restlichen herzhaften Belag. Dieser erhebt sich leider auch nicht als Retter. Das Hühnchen wurde wohl nur optisch mariniert, wenn man es nicht mit bloßem Auge sehen würde, dann würde keine noch so risikofreudige Person wetten, es wäre gegenwärtig. Der Bacon ist kein knuspriger Frühstücksbacon sondern ein eher zäher Kochschinken mit ausreichendem Fett versehen. Die Präsenz von Salz, welche ich von Bacon üblicherweise kenne und hier einen positiven Effekt verursachen würde, fehlt.
Der Rand hingegen ist knusprig und an sich geschmacklich in Ordnung. Da habe ich schon Pizzen mit deutlich schlechteren Teig gegessen, auch italienische. Am Ende kann Mr. Domino nicht überzeugen und Mr. Inflation hat sein einziges Argument zunichte gemacht hat.
Abschließend komme ich noch zu einer wahren Errungenschaft Australiens. Vegemite. Ein Brotaufstrich aus Hefeextrakt. Klingt komisch, ist aber so. Ich meine mich zu entsinnen, es schon einmal vor jenem Tag in Australien probiert zu haben, aber damals war es ein reines Vergnügen. Also Vergnügen war es keines, aber pur hab ich das Zeug probiert. Ergebnis: unzufriedenstellend.

Dieses Mal wurde mir nahegelegt es hauchdünn auf eine gute Scheibe Brot mit etwas Butter zu schmieren. Um es für Neulinge zu beschreiben sagt man es schmecke wie Brühe, nur als Aufstrich. So schmeckt es auch, wenn dünn aufgetragen. Da sich meine Lust auf Süßes beim Frühstück und im Allgemeinen in Grenzen hält, ist Vegemite die perfekte Ergänzung. Es schmeckt stark salzig, etwas bitter und umami.
Ursprünglich war es übrigens ein Flopp. Der Erfinder Cyril Callister hatte kurz darauf auch den Schmelzkäse erfunden und aus werbetechnischen Gründen gab es dann zu jedem Schmelzkäse ein Glas Vegemite dazu. Aufgrund des Vorteils nicht gekühlt werden zu müssen, erfreute es sich während der großen Depression großer Beliebtheit und erlebte einen Aufschwung.
Wir schwingen uns jetzt auch auf und verlassen Australien. Kulinarisch erwarten uns hoffentlich bessere Zeiten, jetzt wo wir kleine Töpfe ohne Griffe gegen Restaurants und Straßenküchen eintauschen können. Die Philippinen rufen und der Ruf ihrer dürftigen Küche eilt ihnen schon voraus.
Haha, brilliant geschrieben!
Spätestens bei "Fliegen und Franzosen" habe ich meinen Tee verschüttet (vor Lachen). Deiner Domino Pizza Kritik kann ich nur zustimmen, deshalb habe ich deren Pizza nur zweimal bestellt: das erste und das letzte Mal. Übrigens schaut die Pizza auf Deinem Foto aus wie schon mal gegessen (oops sorry...).
Bin gespannt, was Du nächstes Mal aus den Philippinen und der "dürftigen Küche" berichtest. Es kann ja kaum schlimmer kommen, oder..?
Ganz liebe Grüße aus Freo von Gill und mir, und Belle natürlich. Hier hat es seit zwei Tagen fast ununterbrochen geschüttet, aber mittlerweile hat's wieder aufgeklärt, und es gibt wieder etwas Sonne und blauen Himmel.
"You just GOT to love Winter in WA!"