Ruinenstädte im Katzenparadies
- Sonja
- 22. Sept. 2023
- 7 Min. Lesezeit
Noch überwältigt von den wunderschönen Städten in Usbekistan, beschließen wir, nicht direkt mit der nächsten Stadt Istanbul weiterzumachen und fahren nach Ankunft in der Türkei erstmal nach Canakkale.
Hier haben wir endlich mal wieder die Möglichkeit zu couchsurfen und werden von Islisu, ihrer blinden Katze und ihrer Tochter mit offenem Herzen empfangen.
Die Katze kam bereits fast blind auf die Welt und ist jetzt mit nur fünf Monaten ganz blind. Dass sie noch sehr jung ist, merkt man vor allem daran, dass sie unaufhörlich spielen möchte und sich an das Blindsein erst noch gewöhnen muss - denn sie läuft alle zwei Sekunden gegen Tischbeine, Couch, Türen und alles, was sonst noch im Weg steht. Irgendwie traurig und gleichzeitig ziemlich amüsant.
Canakkale hat den perfekten, entspannten Vibe, um uns in der Türkei ankommen zu lassen. Wir schlendern durch die Gassen und besuchen das angeblich originale Filmset-Holzpferd aus dem Hollywood Blockbuster Troja. Ob wir dem Ganzen Glauben schenken sollen? Brad Pitt haben wir zumindest vergeblich gesucht.
Zusammen mit Islisu und ihrer Tochter fahren wir ins echte Troja, um dort die Ruinen zu besichtigen. Auf dem Weg liegt außerdem ein neues Troja-Museum und Islisu nutzt ihre Kontakte mit Leidenschaft und ermöglicht uns kostenfreien Eintritt für das normalerweise 30 € kostende Museum. Hier bekommen wir sogar eine private Führung. Diese fällt am Ende so aus, dass der nette Historiker Alex per Google Translate Infos über Troja gibt, die Alex als Kenner der griechischen Mythologie natürlich alle schon kennt, während Su ihre ungeduldige Tochter bespaßt.
Anschließend geht es dann weiter zur Ruinenstadt, wo jetzt das angeblich wirklich originale Trojapferd aus dem Film stehen soll. Auch hier findet sich kein Brad und das Holzpferd wird gerade restauriert. Die Ruinen sind relativ unspektakulär und gleichzeitig ist es cool, an einem historisch so bedeutenden Ort zu sein. Trotzdem nicht unbedingt eine Empfehlung.
Wieder merken wir, wie großartig Couchsurfing ist. Abends führt uns Islisu mit ihren Freunden und einer anderen Couchsurfing Host Elif aus. Wir haben eine coolen Abend mit Gesprächen über Religion, Reisen, Arbeiten in der Türkei und vieles mehr. Es ist einfach das Beste, mit den Locals Zeit zu verbringen und ein Land so noch viel intensiver kennenzulernen.
Leider wird sich unser Plan, in den vier Wochen hier nur zu couchzusurfen nicht umsetzen lassen, da das hier wohl nicht mehr so ein Ding ist, wie noch vor 9 Jahren, als Sonjas Schwester hier unterwegs war. Unsere Anfragen werden entweder nicht mal beantwortet, abgelehnt wegen "busy with work" oder "not in town" und 90% der Hosts in einem Ort sind seit einem Jahr nicht mehr aktiv auf Couchsurfing gewesen. Schade Schokolade.
Weiter geht's mit der Ruinenjagd! Wir beginnen im traumhaft gelegenen Bergama, wo wir eine grandiose Unterkunft mit Panoramablick vom Dach genießen. Die Stadt ist geschäftig, authentisch, sympathisch. An jeder Ecke sitzen süße, alte Männer mit Tee und spielen Rummikub, in jeder noch so kleinen Gasse erwarten dich Katzen- oder Hundegangs und die Altstadt ist zum Verlaufen verwinkelt und erinnert uns ein wenig an die Toskana.
Apropos Katzen und Hunde: Es ist wirklich kaum zu glauben, wie viele Katzen es hier gibt. Sie sind überall. Ob im Supermarkt nebenan, im Hotel, in den Ruinenstädten, am Pool, im Canyon, vor der Dönerbude, am Strand, auf der öffentlichen Toilette, in der Bar, im Restaurant - es ist immer mindestens eine Katze anwesend, meistens jedoch um die 12. Was uns total positiv auffällt, ist die Verfassung der Straßentiere.
Sie sehen alle gesund, gut genährt und zufrieden aus. Kein Wunder, denn vor allen der oben genannten Etablissements finden sich Fressnäpfe mit Futter und Wasser. Noch dazu sind die Türk:innen unglaublich tierlieb. Wir sehen viele Menschen, die Katzen auf den Arm nehmen, sie an den Tisch holen, um sie zu streicheln, Hunden am Strand etwas zu trinken geben und viele, viele weitere kleine Gesten der Zuneigung.
Auch die Hunde sind erwähnenswert: Diese sind nämlich SO groß, dass wir unseren Augen kaum trauen. Meistens sind sie dazu noch ziemlich dick, was für Straßenhunde ein eher ungewöhnlicher Anblick ist. Die Hunde sind fast alle mit einem Chip am Ohr markiert und uns wurde auch erzählt, dass die meisten Hunde und Katzen geimpft und medizinisch versorgt werden. Tatsächlich hat man hier einfach gar nicht das Gefühl, man müsste den Straßentieren helfen oder sie mitnehmen, da sie ein wunderbares Leben zu führen scheinen und es sich falsch anfühlen würde, sie da rauszureißen.
Nicht nur einmal merken wir sehr intensiv, dass die Tiere hier ein gutes Verhältnis zu Menschen haben. Zum Beispiel, als uns drei Hunde für eine Wanderung von 16 Kilometern über Stock und Stein begleiten. Ob sie an diesem Tag wirklich umziehen wollten oder klassische Pendler sind bleibt ungewiss. Oder als sich eine Katze wie selbstverständlich im Café neben Sonja auf den Stuhl quetscht und pennt. Oder als ein uns fremder Hund sich um 5 Uhr morgens bei Dunkelheit (leicht furchteinflößend, wenn 15 Meter vor dir in der Dunkelheit ein Hund sitzt, der sitzend, dir stehend, bis an den Bauchnabel reicht) so dermaßen freut uns zu sehen, dass er uns für die nächsten 8 Kilometer bei einer Wanderung begleiten wird und sich sogar, während wir den Sonnenaufgang ansehen, auch ein Plätzchen sucht und diesen ebenfalls genießt.
Alex der Katzenflüsterer hat seinem Namen auch hier wieder alle Ehre gemacht.

Zurück nach Bergama. Die Kleinstadt ist vor allem für ihre Ruinen der Akropolis Pergamon berühmt, welche majestätisch auf dem Hügel nebenan liegen. Wir machen uns früh auf die Socken, um die Ersten auf dem Gelände zu sein und haben die fantastische Ruinenstadt fast ganz für uns. Warum diese nicht die gleiche Berühmtheit wie Ephesos (dazu später mehr) hat, können wir nicht nachvollziehen - es gefällt uns sogar besser.
Einer Legende nach wurde hier das nach der antiken Stadt benannte Pergament erfunden. Besonders die Ruinen des Tempels Trajan und Zeus sowie das riesige Amphitheater sind sehr beeindruckend - den berühmten Altar des Zeus können wir leider nicht bewundern, da dieser in einem Museum in Berlin steht - macht natürlich Sinn. Buh!
Da wir gerade bei Ruinen sind. Im nächsten Ort Selcuk, haben wir die Möglichkeit, eines der sieben antiken Weltwunder zu besuchen: Den Tempel der Artemis. Viel davon steht nicht mehr, genauer gesagt eine Säule, die im letzten Jahrhundert rekonstruiert wurden. Die Tatsache, dass es eines von wenig "verbliebenen" antiken Weltwundern ist, reicht für ein Stäunchen jedoch aus.
Von Selcuk aus besuchen wir natürlich auch die weltberühmten Ruinen von Ephesos. Um den Massen voraus zu sein, starten wir auch hier früh und merken bei Ankunft, dass wir, statt am Haupteingang, am Ausgang hinein gehen. Wir bemerken außerdem mit etwas Ärgernis im Bauch die sieben Reisebusse, welche hier ankommen - doch komischerweise leer?! Uns geht schnell ein Licht auf, die Busse haben ihre 350 Insassen wohl am Haupteingang abgeliefert, um sie dann hier wieder aufzugabeln. Das spielt uns voll in die Karten, denn die erste Hälfte und damit auch die Hauptattraktion der Ruinen, die Celsus Bibliothek, haben wir für zwei Minuten für uns, bevor eine sich schon bedrohlich nähernde Gruppe von bestimmt 200 der 350 Amerikaner:innen ankommt. Also alles richtig gemacht.
Ephesos ist wirklich spektakulär gut erhalten und man kann sich beim Durchlaufen richtig vorstellen, wie hier das frühere Leben stattgefunden haben muss. Der Komplex ist riesig, die Geschichte ihrer Besiedlung in der hellenistischen, römischen und byzantinischen Zeit interessant und die Bauten wunderschön. Das i-Tüpfelchen sind die 600 Katzen, die hier ihr Zuhause haben und in allen Ecken der Ruinen liegen, spielen und Touristen ärgern (siehe Fotos oben).
Auch nicht zu Vernachlässigen ist die in Selcuk gelegene Basilika des Apostels Johannes, der hier mit Jesus Mama angekommen ist. Die Basilika zu seinen Ehren und ein bisschen der von Frau Christus, war eine der größten Sakralbauten des byzantinischen Reichs war. Deren Ruinen liegen malerisch auf einem Hügel und werden von einer imposanten Festung gekrönt.
Nach so viel Geschichtsunterricht und antiker Schönheit, ist uns nach einer Pause und wir wollen die umliegenden Hügel von Selcuk mit einer Wanderung erkunden. Wir machen uns auf nach Sirince, welches sich in diversen Blogs anhört, wie eine entspanntes, kleines Weindörfchen, das vor allem für seinen Fruchtwein bekannt ist. Auch der Besitzer einer Bar, in der wir nach gefühlt 20 Jahren mal wieder Shisha rauchen und etwas trinken, erzählt uns, wie schön es dort wäre und dass er sogar dort geheiratet habe.
Mit diesem haben wir übrigens ein ganz besonders komisches Erlebnis. Er begrüßt uns so freundlich in seiner Bar und setzt sich auch direkt mit seinem Bier zu uns. Wir kommen ins Gespräch. Doch nicht in das übliche Local-Tourists-Gespräch, nein, Adib steigt direkt tief ein. Er erzählt uns kurzerhand von seinem kürzlich zurückliegenden Gefängnisaufenthalt aufgrund von Cannabiskonsum, von der Geschäftsbeziehung mit seiner Exfrau, von seinen mindestens 100 anderen Geschäften, von seinem anderen Gefängnisaufenthalt aufgrund eines Messerangriffs auf einen anderen Mann (ja, echt!) und noch einiges mehr, das wir nicht hören wollen. Vor der zweiten Gefängnisstory landen wir übrigens kurzerhand in seinem Hintergarten und bekommen ein glühendes Stück Bobbel in die Hand gedrückt - eine wilde Begegnung.
Wo waren wir? Ach ja, die Wanderung nach Sirince. Auch diese stellt sich als besonders abenteuerlich heraus. Alles fängt noch relativ gemächlich an und wir gehen entlang Olivenhainen und Feldern hinauf und hinab.
Nachdem wir uns ca. 5 Mal etwas verlaufen haben und zu vorherigen Punkten zurückkehren müssen, kommen wir an einem steilen Abhang, bei dem uns zumindest laut GPS-Karte gesagt wird, dass wir ihn hinabgehen sollen. Es ist jedoch echt ziemlich steil und ganz schön bewachsen mit Büschen. Wir suchen uns eine Stelle, an der es einigermaßen machbar aussieht und wagen es. Irgendwann wird es so voll bewachsen, dass wir uns sämtliche Arme und Beine aufkratzen, während wir uns durchs Geäst kämpfen. Immer wieder fragen wir uns "Sollen wir umdrehen?" - "Das kann doch nicht richtig sein, oder?" - "Aua, wer macht so eine Wanderung?" - aber die Karte sagt eindeutig: Hier geht's lang!
Wir kommen an ein ausgetrocknetes Flussbett, welches wir nur über einen Abstieg über einen ehemaligen kleinen Wasserfall-Sturz erreichen können. Wir überlegen dreimal, vor allem nachdem Alex beim ersten Versuch ein knurrendes Geräusch hört und Angst bekommt, ein wildes Tier könnte uns erwarten. Es stellt sich heraus, dass das Geräusch von einem Brocken unter Sonjas Füßen kam.
Sonja hangelt sich mit einer Hand am Ast und der anderen an den Felsen dann als Erste die ca. drei Meter hinab, während sich unter ihren Füßen schon etliches Geröll löst und der Ast anknackst. Letzteres bekommt Alex nicht mit und hält sich bei seinem Abstieg an selbigem fest. Gleichzeitig rutscht ihm ein Stein unter dem Fuß weg und er stürzt ca. zwei Meter rücklinks hinab. Autsch! Das war ein echter Schock, von dem wir uns beide erstmal erholen müssen - Alex ist von einer Klippe gestürzt! Er kommt zum Glück mit einer geprellten Pobacke und einem Cut am Bein davon - das hätte echt auch anders ausgehen können.
Gestresst, zerkratzt und genervt gehen wir das Flussbett weiter abwärts und finden einfach nicht aus diesem Gebüsch heraus. Laut Karte sind wir jedoch immer noch richtig. Dann, nach einem weiteren Kampf mit Ästen und Stacheln, kommen wir endlich in eine Lichtung und sehen einen Weg. Geschafft! Wir erreichen halb verdurstet und geschändet das Dorf Sirince und uns erwartet der nächste Horror. M e n s c h e n m a s s e n tummeln sich in den kleinen Gassen und die Souvenirläden stapeln sich. Wir schlüpfen in unsere mitgebrachten Flipflops, stehlen uns in eine der vielen Weinbars und verbringen drei Gläser Wein damit, Menschen zu beobachten, unser Leben zu zelebrieren und können nach dem ersten Glas schon wieder über die ganze Aktion schmunzeln. Dieser Ausflug war eher nix.
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