Es muss nicht immer fancy-schmancy sein
- Alex
- 9. Okt. 2023
- 4 Min. Lesezeit
Wer schonmal in einer etwas in die Jahre gekommenen Kantine war, kennt es. Das Pflatschen der dickflüssigen Speisen aus übergroßen Schöpflöffeln auf den zerkratzen Teller oder, noch besser, direkt auf das Tablett, mit den verschiedenen Vertiefungen scheinbar zufälliger Größen.
Dazu Schöpfer:innen, die nicht fragen, welches der drei grauen Gerichte man möchte, sondern nur fordernd ruckartig den Kopf nach oben kippen, die Augenbrauen heben und dir dabei tief in dir Augen schauen. Bezahlt wird wenig, meist nach Gewicht den bezuschussten Betriebspreis.
Die Erfahrung in der Türkei zeigt, so muss das nicht sein. Einzige Gemeinsamkeit: Der kleine Preis. Lokantan oder Lokantası, was ich ohne Recherche einfach für die Versüßlichung halte, sind Kantinen mit traditionellem türkischen Essen, gedacht für die Arbeiterklasse oder Reisende, deren Budget nicht mehr all zu üppig ist. Hola.
Die angebotenen Menüs bestehen meist aus einer Suppe, einer Hauptspeise mit Reisbeilage und wenn man Glück hat Obst oder einem Ayran. Zahlen tut man dafür dann 3-4€. Die Auswahl an Hauptspeisen umfasst so gut wie immer unzählige vegetarische Gerichte. Muy bien.
Der unangefochtene Superstar der Kantinen ist die Aubergine. Das glatte Stangengemüse kann eine richtige Herausforderung sein. Falsch zubereitet verdirbt einem die Konsistenz nämlich jeglichen Appetit. Das passiert hier zum Glück nicht. Vor allem überrascht es, dass die doch sehr dicke Haut in den Türk:innen ihren Meister findet. Fast knusprig und kaufest, so will man es gar nicht ohne Haut. Hat schonmal jemand eine Aubergine geschält? No se.
Geschmacklich ist es nicht außergewöhnlich, aber verlässlich. Meist tomatig, süßlich, deftig. Was mich zur Zubereitung bringt. Nachdem wir es auch am Frühstücksbuffet serviert bekommen und die Frau, die ich für die Köchin halte, nur eine Pidelänge entfernt sitzt, nehme ich all meinen Mut zusammen und frage, wie man es denn zubereitet.
"Eggplant, tomato, garlic and oil."
"That's all? How do you, like, cook it? In which order?"
"Yes."

So leicht lass ich mich dann doch nicht unterkriegen und frage beim Checkout nochmal nach - ich hätte da was nicht verstanden. Plötzlich gehört auch noch "Pepper" rein, ob Pfeffer oder Paprika gemeint ist, finde ich dann wohl in meiner Küche raus. Ich erfahre noch weitere Details, welche nur noch mehr verdeutlichen, wie einfach es zu sein scheint.
Diese Einfachheit zeichnet die türkische Küche, die wir durchleben, aus. Perfektes Beispiel ist dieser Bohnensalat. Er zeigt eindrücklich, dass es nur ein paar gute Zutaten und nichts kompliziertes benötigt. Bohnen, gutes Olivenöl, Zwiebeln, Zitrone und frische Petersilie (und überflüssige Tomaten) - schon hat man etwas von dem ich fast wage zu behaupten, es ist mit das Beste, was wir gegessen haben. Und es liegt sicher nicht daran, dass der Rest ungenießbar ist.

Ein weiterer Beweis gefällig? Linsensuppe übernimmt den Beweisvortrag sehr gerne. Linsen, Karotten, Kartoffeln, Zwiebeln und Knoblauch ergeben eine kräftige Cremesuppe, die dieses schöne leichte Trockenheitsgefühl hinterlässt, das Linsen so an sich haben. Wer sich fragt wie etwas flüssiges trocken sein kann hat noch nie zu viel Früchtetee getrunken.
Abgerundet mit frischen Kräutern - die Suppe, nicht der Tee - könnten wir das jeden Tag essen. Der alles verändernde Trick ist die Zitrone. Es ist unfassbar wie die Säure aus einer cremigen Suppe ein deftig frisches Schlürferlebnis macht.
Damit das hier nicht zu lang wird, kürze ich es ab. Die Essenz liegt im Einfachen. Es haut einen nicht um, aber man kann sich darauf verlassen, dass es schmeckt. Hier noch ein paar weitere Gerichte, die alle in die selbe Kerbe schlagen.
Drei bisher unausgesprochene Kategorien stehen noch aus. Mein Favorit, das Ungewöhnliche und die Süße.
Ezmesi heißt mein Favorit und ich bezeichne es liebevoll als meinen roten Treibstoff. Einem Frühstück mit Weißbrot, sehr mildem Käse und Gurke fehlt was? Genau, ein Aufstrich der anschiebt. Beliebig dosierbar, weil je nach Machart verschieden pikant, nutze ich sogar den Löffel um es aufzutragen. Zugegeben Messer scheint es hier irgendwie nicht zu geben.
Hauptsächlich besteht es aus Tomaten und Paprika, wird aber durch Petersilie, Zwiebeln, Chili und Granatapfelsirup (Schlurp) zum Geschmackssprengstoff, der sogar sämtliche Zahnpastareste überwältigt. Die Einsatzmöglichkeiten scheinen einem Soßen-, Creme- und Dipfanatiker wie mir endlos. Ab Woche zwei in der Türkei reise ich jedoch mit andauernder Antriebslosigkeit, weil mein CO2-armer Brennstoff plötzlich von den Frühstücksbuffets verschwunden ist.
Dann muss halt die Süße in die Presche springen. Bei Süße und Türkei denken sicher viele an türkischen Honig oder Baklava. Nachdem mir der größte Mann, den ich persönlich kenne, den Laden empfohlen hat, in welchem er das beste Baklava seines Lebens gegessen hat, essen wir das beste Baklava unseres Lebens und ich entschiede, dass es allgemein nicht so mein Fall ist.
Als Ersatz hab ich schon zuvor eine Süßspeisen entdeckt, die gar nicht so süß ist, denn sie besteht aus Käse, Engelshaar und Zucker. Künefe nennt sich die goldene Scheibe, die stark an warmen Camembert, nur etwas versüßt erinnert.
Zugegebenermaßen waren wir, als wir es das erste Mal gegessen haben, durchaus betrunken und folglich heillos begeistert. Die Wiederholung hat aber gezeigt, dass es im nüchternen Zustand (buh) auch alle für mich notwendigen Eigenschaften einer gelungenen Nachspeise hat. Nicht zu süß trotz des dünnen Zuckerwassers mit dem es beträufelt wird bis es schwimmt, mit ausreichend Käse und mit Knuspereffekt dank Kadaifi. Nein Kadaifi ist nicht der Name des drahtigen Künefebäckers, sondern die kleinen karamellisierten Teigfäden, auch Engelshaar genannt, die als Boden und Deckel dienen. Serviert wird es warm.
Am besten vorstellen kann man es sich so. Ein milder Camembert mit einer leicht nussig-süßen Kruste der vor drei Minuten die Pfanne verlassen hat und daher nur noch im Zeitraffer sichtbar fließt. Darüber kommt dann eine Flüssigkeit, die dem Zuckerwasser ähnelt, welches besorgte Bürger Bienen im Sommer auf den Balkon stellen. Kieselsteine nicht vergessen sonst besteht die Gefahr, dass die Zebras der Lüfte ertrinken. Künefe kommt ohne Kiesel, dafür mit Pistazien. Rico.
Bisher war noch nichts dabei, das mich nur ansatzweise Überwindung gekostet hat. Beziehungsweise zögere ich es bis zum vorletzten Tag raus Kokoreç zu probieren. Dieses an ein riesen Berner-Würschtl erinnernde Etwas versteckt keinen Käsekrainer aus Massentierhaltung sondern Lamminnereien. Daher auch mein liebevoll gewählter Name: Riesen Gedärmewurstsandwich.
Scheibchenweise abgeschnitten, nochmal angegrillt und dann kleingehackt kommt es auf getoastetes Weißbrot
Garniert wird es ausschließlich mit Chiliflocken. Schmeckt nicht schlecht. Man merkt natürlich, dass es kein Fleisch im klassischen Sinne ist, ein leichter Innereiengeschmack ist, wenig überraschend, dabei. Ansonsten fettig und scharf.
Zusammenfassend gilt zu sagen, dass die, Dank verschiedenster Quellen, geschürten Erwartung nicht bedient werden konnten. Klar sind Döner geil und authentische türkische Hausmannskost ein Erlebnis, kulinarische Wow-Momente blieben aber aus. Trotzdem wurde mein Horizont um ein Puzzleteil erweitert und ich habe einiges was ich in meine Post-Reise-Ernährung aufnehmen werde. Hasta Pronto. Jetzt gehts nach Südamerika, falls man es nicht gemerkt hat.
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