Essigfrüchtchen
- Alex
- 2. Juli 2023
- 8 Min. Lesezeit
Nach den ersten Erlebnissen habe ich mich weiter voller Hingabe auf jeden noch so unbequemen Stuhl jedes zumindest einigermaßen nach Restaurant aussehenden Etablisments gesetzt, in welchem philippinisches Essen zubereitet wird. Ich kann es nicht genug betonen, jeder Sitz in diesem Land ist unbequem. Das glaubt einem daheim natürlich keiner, aber egal wo man sich niederlässt, tut einem der Hintern so dermaßen weh als würde alle drei Minuten ein 1,95m Hüne kommen, sagen "bitte kurz aufstehen", dir einen saftigen Tritt in den Allerwertesten geben und sich dann freundlich verabschieden. Nur, dass nach der dritten Runde die menschliche Sitzunterlage auch noch eingeschlafen ist.
Also, unter dem beschriebenen Leid geht es weiter zu den Geheimnissen der philippinischen Küche.
Ziemlich ungeheim ist das geheime Nationalgericht Adobo. Im klassischen Stile mit Schweine- oder Hühnchenfleisch, aber auch häufig mit Meeresfrüchten oder vegetarisch mit Tofu oder Aubergine zu finden.
Bei der Zubereitung wird das entsprechende Fleisch lange mit einer Sauce aus Essig, Sojasoße, Pfeffer, Lorbeer und Knoblauch mariniert, angebraten und dann in selbigem Sud gekocht. Das finale Ergebnis hat sehr viele Variationen. Es wird sechs Mal, sich in verschiedenen Aspekten unterscheidend, auf unserem Tisch landen.
Adobo ist schon in der präkolonialen Zeit weit verbreitet, aber bekommt während der spanischen Kolonialzeit seinen Namen. Adobo bezieht sich hierbei mehr auf die Kochmethode des langen Marinierens und langsamen Kochvorgangs als auf das Gericht selbst.
Das erste Pork Adobo, gezaubert von Bakhaw Kiwi auf Malapascua soll dann auch die beste Fleischausführung werden, die ich esse. Das Fleisch ist zwar alles andere als zart, aber die Soße wird Seinesgleichen suchen. Leicht eingedickt präsentiert sie die einzelnen Zutaten grandios. Die Säure des Essigs, das Salz der Sojasauce und der maßgebliche Pfeffergeschmack ergeben ein komplettes Gericht.
Noch zwei weitere Male bestelle ich Adobo mit Fleisch, dann aber jeweils mit Hühnchen. Einmal ist es von allem etwas weniger. Das Gericht ist leichter, frischer, aber drückt einem auch den philippinischen Stempel nicht so auf. Das andere Mal wieder mehr Soße, mehr Essig, weniger Pfeffer. Finde ich nicht so ausgewogen. Es schmeckt aber so, als ob es ebenso schmecken sollte und verdient Lob. Hier geht es letztendlich um meine Präferenz. Nicht wie sonst, wenn ich allgemeines Empfinden sowie Gut und Schlecht definiere.
Interessant wird es jetzt auch bei den vegetarischen Varianten von Adobo. Die Hauptakteure benötigen üblicherweise den langen Garprozess nicht und darunter könnte folglich auch der Sud und Soße leiden.
Diese Sorge kann ich beerdigen. Wir essen famose vegetarische und vegane Adobos. Oft begegnet uns Eggplant Adobo, also Aubergine. Nachdem sich dieses Nachtschattengewächs gezwungenermaßen hier von Sonjas Nemesis zu einem Hauptbestandteil ihrer Ernährung verwandelt hat, lernen wir die Vielseitigkeit kennen. In Adobo funktioniert sie hervorragend.
Noch mehr Begeisterung erzeugt jedoch Adobo mit Saitan und Tofu. Vorallem der Tofu in einem Gericht names Tapa Tofu ist der Höhepunkt der adobschen Welt, auch ohne viel Soße. Im Saitan Adobo Gericht muss man die Chilis hervorheben, die klassischerweise hier nichts verloren haben. Sie bringen vor allem Geschmack und nicht nur Schärfe, wobei sie so scharf sind wie ich hier schwitze.

Adobo ist für mich ein Bon-Bon von Kulinarik. Auf der einen Seite spiegelt es die Bedeutung von Essig in der philippinischen Küche wieder, zum anderen ist es so wandelbar, ohne sein eindeutiges Profil zu verlieren. Es kommt mit Sicherheit in meinen heimischen Essensplan, mal sehen in welcher Variation.
Der Fischfang ist auf den Philippinen immer noch eine der wichtigsten Tätigkeiten. In seiner häufigsten Form ist die Fischerei noch sehr roh und hat nichts mit großem kommerziellen Fischfang zu tun, auch wenn es ihn zweifelsfrei gibt. Vornehmlich auf kleinen, dünn besiedelten Inseln wenden sich die Mensch entweder dem Fischfang oder dem Ackerbau zu.
Folglich finden sich unter den klassischen philippinischen Speisen auch einige mit Fisch. Zwei Gerichte sprechen mich persönlich besonders an, aber bevor ich dazu komme noch eine kurze Einordnung.
Ich bin nicht als großer Fischgourmet bekannt und auch beim Anblick eines frischen Fisches rinnt mir nicht der Speichel aus den Mundwinkeln. Ich möchte natürlich so viel wie möglich probieren, auch wenn ich mich komischerweise immer etwas überwinden muss.
Im Gegensatz zu Fisch habe ich eine große Leidenschaft für Saucen und damit sind wir schon bei einer so nicht geplanten Entdeckung. Für gewöhnlich bekommt man zu einen gegrillten Fisch eine Zitrone, hier reicht man etwas anderes. Sojasauce mit Calamansi.
Man nehme eine Mischung aus Limette und Zitrone, schrumpfe sie auf die Größe eine Physalis und füge etwas Süße hinzu. Zack, Calamansi. Die Sojasauce ist auch keine normale sondern salzreduzierte, gibt es auch bei uns. Das Ergebnis ergänzt den im übrigens à point (https://images.app.goo.gl/JDn6pczmTuBg54SQ8) gegarten Fisch wunderbar. Gute Säure, etwas Süße, Salz und man hat Sauce.
Einen Tag später, ein Restaurant weiter, wieder Fisch, reicht man mir eine leichte Abwandlung. Wieder salzreduzierte Sojasauce mit Calamansi und dazu Chili. Was das bewirkt, muss ich, denke ich, nicht beschreiben. In meinen Augen schlägt die Mischung, ob mit oder ohne Chile, i die übliche Zitrone um Längen und kommt auf meine Liste der Dinge, die ich mit in meine Küche nehme.
Das erste der beiden traditionellen philippinischen Fischgerichte heißt Kinilaw, ausgesprochen wird es /Kï&ni:l;âů8/. Wenn ich mich festlegen müsste, dann ist es das beste was ich in den ganzen vier Wochen hier gegessen habe. Es ist die philippinischen Version von Ceviche. Will heißen roher Fisch in Säure mit frischem Gemüse. Im Gegensatz zu Ceviche ersetzt Essig hier Zitrusfrüchte als Säurequelle. Die Säure sorgt für die Veränderung der Eiweiße, ähnlich zum Garprozess. Es bleibt aber trotzdem quasi roher Fisch. Dazu gibt es Gurken, Zwiebeln, Paprika und einen Haufen Chili.
Nicht nur ist es das beste was ich gegessen habe, es ist auch mit ganz großem Abstand das schärfste. Die Textur des Fisches, der auf der Zunge zergeht, gepaart mit dem säuerlich-frischen Geschmack lassen mich nicht aufhören zu essen. Noch dazu hat der Fisch nur eine leichte Meeresnote und rundet damit alles ab.
Nach diesem Erfolgserlebnis hat auch Sonja am selben Abend noch einen Erfolg zu feiern. Sie kauft neue Flipflops, redet sich um Hals und Kragen, handelt, feilscht, und tatsächlich, der 11-jährige Verkäufer erlässt ihr einen ganzen Euro. Was für ein Abend.

Das zweite Gericht, dass ich unbedingt probieren möchte, heißt Sinisag und ist eine Suppe. Aber auch hier erst eine Vorgeschichte. Wir begeben uns auf eine 3-tägige Bootstour, siehe anderer Blogartikel. "Jetzt verweisen die schon auf ihre eigenen Artikel, weil sie sonst kein Johannes liest."
Unser Bootskoch fragt mich zu Beginn des Trips, welches denn meine Lieblingsspeisen hier sind und ob es etwas gibt, dass ich noch probieren will. Nun, ab und zu ist das Leben halt schon ein Wunschkonzert. Ich erzähle ihm von meinem Wunsch nach Sinisag, ohne mir große Hoffnung zu machen, schließlich sind wir schon auf dem Boot. Es kommt dann wie es kommen muss und er kocht es gleich zweimal für mich. Das erste Mal gibt es die Suppe zum romantischen Dinner.
Die Suppe bestehend aus Tamarinde, Ingwer, ganzen Chilis, Tomate, Zwiebeln und Fisch kommt auf die Liste "Dinge die ich so noch nicht geschmeckt habe". Wer schonmal eine frische Tamarinde oder Tamarindenpaste probiert hat, weiß wie unglaublich sauer-fruchtig sie ist. 20 Prozent davon zusammen mit einem Ingwersud und leichtem Fischgeschmack. Boom, da knallen meine Geschmacksknospen. Nicht weil der Ingwer zu scharf ist oder die Tamarinde zu sauer, es ist alles sehr weich im Geschmack, aber, weil es unfassbar eigen und lecker schmeckt.
Der Fisch der sozusagen im Ganzen im Sud gegart wurde ist butterweich und hat die Geschmackskomponenten dezent aufgenommen. Die ganze Chili verbreitet keinerlei Schärfe sondern gibt nur eine leichte Note an die Suppe ab. Auf unserem Bootstrip bekommen wir im allgemeinen tolles Essen serviert, immer viel zu viel und darunter viel frischer Fisch.
Abgesehen von stinknormalem Fisch, in Zubereitungen von denen ich schwärme, bekommen wir auch noch das hier zu probieren.

Lato oder Seagrapes ist eine Art Seetang die optisch sehr stark an Trauben erinnert. Frisch bei Ebbe gepflückt werden sie abgewaschen und einfach kurz in Essig gelegt. Beim Verzehr ergibt sich eine interessante Mischung aus sauer und Meersalz. Die kleine Kügelchen zerplatzen und hinterlassen ein etwas schleimiges Gefühl. Mir schmeckt es großartig, wobei Sonja nicht so bedingungslos begeistert ist. Im übrigen trägt der Seetang mit dem lateinischen Namen Caulerpa Lentifillifera auch den Spitznamen grüner Kaviar. Man kann ihn in warmem Wasser wohl kultivieren, was in Teilen Asiens auch weit verbreitet ist. Falls ich mal garnicht mehr weiß was tun, dann mach ich das in Europa.
Apropos ungewöhnliche Dinge aus dem Meer. Da wir nun einen Tauchschein für eine Tiefe bis 30 Meter besitzen, habe ich mich mal erkundigt, was so im Marianengraben lebt. Interessanterweise ein Tier, das dem Menschen in einer Eigenschaft gleicht, der Borstenwurm. Entfernt man dem Weibchen das Hirn, so wird es ein Männchen.
Jetzt wo Meeresfrüchtchen zur Genüge beleuchtet sind, schreite ich voran zu den Landfrüchtchen. Eine Erfahrung, die sich jedes Mal aufs Neue in Südostasien wiederholt, ist das Erstaunen über Früchte. Mir fällt es schwer zu beschreiben, aber sie schmecken hier einfach anders, besser.
Sonja beschreibt die Veränderung so: "Waaas du isst Obst? Sogar Ananas?". Ja, die Ananas hier löst nicht diesen komischen chemischen Reiz aus und sie ist viel süßer, vor allem als die Dosenananas. Wobei ich sagen muss, dass sie sich wegen ihrer Form schon sehr gut für die Dose eignet.
Für Mangos hier fehlen einem einfach die Worte. Ich weiß nicht was ich sagen soll. So haben Mangos einfach zu schmecken. Selbst wenn sie fast überreif sind, schmecken sie nicht gleich leicht verdorben, sie haben eine natürlicher wirkende Säure und die Süße ist nicht so dominant.
Ich esse sogar gelbe Wassermelone, auch wenn es mir immernoch zu melonig ist. Melonig heißt für mich langweilig. Den Sommerhype um Wassermelone kann ich wirklich nicht nachvollziehen. Beim Ausspucken der Wassermelonenkerne entdecke ich, dass sie garnicht schwimmen, dabei sind es doch Wassermelonen!?
Wir versuchen uns dann noch an etwas neuem. Semiguela, die rote Mombinpflaume. Die Steinfrucht, halbreif wie wir sie essen, ist noch leicht faserig, knackig wie ein Apfel und relativ sauer. Genau mein Wetter.
Unreif isst man sie anscheidend mit Salz. Ich könnte sie mir auch wunderbar eingemacht vorstellen. Ob es das gibt, finde ich nicht heraus, die hochfrequentierte Verwendung von Essig hier lässt diese Vermutung nicht unwahrscheinlich wirken.
Weil ich positives Feedback auf einen Musiktipp bekommen habe, versuche ich mein Glück nochmal. Hört euch mal M. Byrd an. Der deutsche Künstler hat soeben sein Debütalbum veröffentlicht.
Was sagen wir nun zu den Philippinen? Ich bin begeistert von der vielseitigen Verwendung von Essig. Der ursprünglich funktionale Sinn der Konservierung wurde überflügelt und Essig ist ein integraler Bestandteil der philippinischen Küche geworden. Das macht das kulinarische Profil in meine Auge auch sehr einzigartig im südostasiatischen Raum. Alleine die Regalgröße für Essig im Supermarkt spricht Bände. Tuba Vinegar ist übrigens Essig aus fermentiertem Saft der Kokosnusspalme. Alternativ gibt es noch Niyog, bei welchem Kokosnusswasser fermentiert wird.
Ach ja und falls jemand 19 Liter Sojasauce braucht, alles da. Ich habe auch noch die perfekte Sauce für mich entdeckt, eine Mischung aus Kimchi (ich vermisse mein Kimchi) und Sriracha, macht dann Kimchiracha.
Darüber hinaus kann ich der weit verbreiteten Ablehnung gegenüber dem Essen in zwei Aspekten zustimmen. Die Güteklasse variiert stark und ist ab und zu ernüchternd und nach vier Wochen hat man sich auch ein klein wenig satt gegessen. Aber Menschen die sagen, das Essen sei schlecht, nicht vielseitig oder einfach nicht lecker haben Unrecht.
Um auch die andere Seite eines Hochglanzfoodblogs wie diesem zu beleuchten, hier noch ein paar Dinge aus der Kategorie "Sieht gut aus, schmeckt scheiße".



Zum ersten Philippinen-Artikel habe ich noch eine kleine Ergänzung zu machen. Die philippinische Version vom Spanferkel habe ich zwar schon erwähnt, aber jetzt habe ich sie auf einem Nachtmarkt im hektischen Cebu City auch probiert. Schmeckt exakt wie bei uns, keine Pointe. Obwohl, unsere Tischnachbarn braten sich ihr eigenes Schweinehirn.
Als kleinen Appetizer traue ich mir dann noch ein explosives Frühlingsrollen-ähnliches Geschöpf namens Dynamite zu. Bei der verwendeten Chili hab ich wohl Glück, so scharf ist es nicht. Ansonsten findet sich noch etwas Spam und Käse in der Rolle. Es liegt übrigens nicht da wo Sonja hinzeigt.
Ganz ganz zum Schluss muss ich noch einer Herzenssache der Filipinas und Filipinos nachgehen, dem Fastfood. Die Bilder des Burger-Steaks und der Spaghetti, die im übrigens exakt der Realität entsprechen, treiben uns fast wieder aus der beliebtesten Kette Jollibee. Das/Der/Die Chickenjoy sieht aber aus wie Fried Chicken. Das Fleisch massig, saftig und die Panade würzig scharf, mehr kann Fast Food Chicken nirgends auf der Welt. Sonja genießt nebenbei einen Eimer Pomms Fritz.
Zurück auf den Straßen von Cebu City wische ich mir eine kleine Träne aus dem Auge. Was bleibt ist etwas Fett und Panade an der Schläfe, dann steigen wir ins Taxi zum Flughafen.
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