Medium City Life
- Alex
- 16. Mai 2023
- 7 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 24. Aug. 2023
Zum Beginn muss ich hier etwas Erwartungsmanagement betreiben. Neuseeland hat mich bezüglich lokaler und landestypischer Kulinarik ja nicht überraschen können, obwohl eigentlich klar war, dass die abtrünnigen Briten nur mitbringen konnten was sie hatten, bekanntlich nicht viel.
Ohne Vorkenntnisse reduziere ich meine Erwartungen für Australien direkt auf etwas minimal größer Null. Zumindest an das, was sich hier als lokal bezeichnen lässt. Bezeichnend ist natürlich, dass sich nichts entwickelt obwohl man ca. 7,7 Millionen Quadratkilometer zur Verfügung hat. Peinlich.
Glücklicherweise sind wir in den ersten Tagen in 2 1/2 Städten in welchen hoffentlich eine Schar von Einwanderern gutes Essen kochen. Die laxe Einwanderungspolitik Australiens sollte das aber möglich gemacht haben.
Zuerst widme ich mich aber meinem Steckenpferd, der Luftfahrtgastronomie. Ich wähle das von Qatar Airways auf dem Flug von Auckland nach Adelaide servierte vegetarische Gericht, das übrigens nicht identisch zu Sonjas vorbestelltem vegetarischen Essen ist. Es wirkt fast als würde man hier bestraft, wenn man offen seine Meinung kundtut und zu seinem Vegetarismus steht. Ihr Essen hingegen ist um einen Vergleich zu erzwingen, wie als ob man in einem Frühstückscafe nicht die warmen Semmeln und eine Platte mit Käse, Marmelade, Feigen, Tomaten und einem frischen Obstsalat bekommt sondern Haferflocken mit Wasser. Guten Appetit.
Beflügelt von meiner subversiven Handlung, meine reflektierte Gesinnung zum Fleischverzehr nicht vorab anzumelden, stürze ich mich auf die gebratenen Nudeln mit Pak Choy, sehr knackig, Bohnen, Paprika, näher an einer Flüssigkeit als an einem Feststoff, und süßer Sojasauce. Ich bin übrigens an dem Punkt angekommen, an welchem ich einfach behaupte, das Essen hat die Bestandteile, die ich erschmecke. Was soll ich sagen, es schmeckt, nur Salz fehlt. Ich bin halt n Typ dem die Salze viel bedeuten (DJ Tomekk).
Für alle untreuen oder Sensationsleser, die den ersten Flugzeugbericht übersprungen haben, verweise ich nun darauf wenn ihr das Geheimnis um Salz und feuchte Semmeln im Flugzeug lüften wollt.
Dieses Mal muss ich mir nach jeder Berührung meiner Semmeln die Hände abtrocknen. Die Salz-Gemengelage behebe ich durch großzügiges Auftragen von Sonjas Couscous, da dieser so stark versalzen ist, man könnte wohl die gesamte Crew pökeln.
Nachdem Australien unserer Ankunft zuliebe direkt einen riesen Auflauf aus Veteranen zubereitet und allen frei gibt, nutzen wir die einmalige Chance im einzigen geöffneten Cafe von Adelaide zu frühstücken.
Mit einem Gefühl von Unbehagen gegenüber der pompösen Huldigung von Soldaten schleichen wir uns durch ihre Reihen und gelangen schlussendlich ins belebte Chinatown. Dumplingking, ein Restaurant welches man aufgrund seines Namens eigentlich meiden müsste, wird Gastgeber unseres Mittagessens.
Wir essen, nach expliziter Bestätigung, vegetarische Dumplings in Chili Broth. Die Suppe offenbart nach Kontakt solch deftige Fettaugen, dass wir sicher sind, flüssige Nahrungsmittel fallen hier wohl immer in die Kategorie vegetarisch. Sonja bleiben dann nur trockene Dumplings.
Diese aber überraschen auf ungewöhnliche Weise. Sie haben nicht wie üblich eine Füllung aus mehreren Sorten Gemüse, Kohl, Knoblauch und Ingwer sondern beinhalten fast ausschließlich Spinat. Ergebnis, die vegetarischen Dumplings haben einen Eigengeschmack. Dieser gepaart mit einer phänomenalen Brühe die sehr kräftig ist, kaum salzig (gut) und den Mund beim Verzehr vollkommen füllt, veranlasst mich eine Notiz auf meiner Essentiell-Liste machen.
Bei der Füllung von Dumplings, entscheide dich für einen Geschmack.
Der asiatische Supermarkt gegenüber lässt dann noch ein paar Heimatgefühle aufkommen. Es gibt exakt die gleichen Dinge wie bei uns und ein anbetungswürdiges Kimchi-Kühlregal.
Wer diese Supermärkte noch nicht für sich entdeckt hat, dem ist das wärmstens zu empfehlen. Sie bewegen einen neue Dinge auszuprobieren, denn die Zutaten sind alle samt neu. Die Standardprodukte wie Sojasauce oder eine Sweet Chili Sauce sind noch dazu besser und günstiger. Und natürlich kann man hier Kimchi probieren, ohne seine ganze Bude mit fermentiertem Kohlgeruch für zwei Monate zu belegen.
Die nächste mittelgroße Stadt Fremantle, sozusagen ein Vorort von Perth, die den Namen Vorort nicht verdient, da die Stadt so belebt, eigen und schön ist, bietet uns an zwei Tagen gleich mehrere kulinarische Erlebnisse.
Am Abend von Sonjas Geburtstag entführen uns die Engel Gillian und Charly in den Indischen Himmel namens Chopper Chimney. Wir verlassen uns auf die zielsicher Auswahl unserer Gastgeber und sollten nach diesem Erlebnis eigentlich nie wieder selbständig irgendwo Speisen auswählen.
Vorspeise: Golgappe. Diese wachteleigroßen frittierten und porösen Teigbällchen sind mit einer würzigen Kartoffelmasse gefüllt. Nun füllt man eine grüne Flüssigkeit in diesen Ball und versenkt ihn seinem zuvor geöffneten Schlund. Aromaexplosion.

Die Sauce dosiert Koriander, Tamarinde und Chili so wunderbar, dass die damit kalte Vorspeise unvergleichlich frisch und würzig ist. Das Gaumengefühl lässt nichts vermissen, das die flüssigen, knusprigen und cremigen Texturen deinen Mund vollkommen beschäftigen. Hier bestätigt sich wieder, wie wichtig nicht nur Geschmack sondern auch Mundgefühl ist.
Anjana, wenn du das liest, können wir das bitte mal zusammen ausprobieren, wenn ich wieder da bin? Du hast noch sieben Monate Zeit zu üben.
Als Hauptspeise teilen wir uns drei Gerichte, begleitet von Knoblauch-Naan welches offenbar die sieben Knollen Knoblauch enthält, die uns bei der Einreise nach Australien abgenommen wurden, sowie perfekt gegartem Safranreis.
Saag Paneer, das grüne Zeug auf dem Bild, ist Paneer in Spinat mit einer überraschend guten Konsistenz. Nicht zu schleimig wie im karibischen Calalu (sorry Louis) und auch nicht so trocken wie Spinat auf der Pizza.
Die zweite Wahl fällt auf Mock Chicken Curry in einer tomatig pfeffrigen Soße mit leichter indischer Note. Interessanterweise hat es einen merklichen Kick, aber kaum Schärfe und ergänzt den Paneer grandios.
Teil drei übertrifft für mich die vorherigen beiden nochmal. Bagara Baigan. Das Auberginen Curry strotzt vor Sämigkeit und hat eine klare Süße. Anders als eine Süße durch Zucker oder Honig, ist sie viel tiefer und cremiger. Ein Blick auf die Speisekarte verrät Tomaten als Zutat und da Säure gänzlich abwesend ist, stammt die Süße vielleicht hierher.
Auberginen sind aufgrund ihrer Beschaffenheit, vor allem gebraten oder gekocht, oft kein geliebtes Gemüse. Dem Kochteam gelingt es jeden Anflug von schleimiger Konsistenz zu unterbinden und sogar die Haut, von welcher das Fleisch beinah abfällt, genüsslich zuzubereiten.
An Tag 2 starten wir im Café Kerfuffle, das wir aufgrund der Empfehlung unserer bezaubernden Host aufsuchen. Und zum zweiten Mal auf diesem ausgedehnten Urlaub kündigt die Café DJane die Güte des Cafés an. Es läuft Ben Howard und dieser tolle Song: https://open.spotify.com/track/2OJPxd64jBHUoMXsbeiUgY?si=Y07XS_pnSUmi-WIrNdklCQ
Mal sehen wie lange das Musikkriterium noch recht behalten wird.
Die Crossaints haben circa Schuhgröße 47, sind fluffig und fettfrei. Die Rückfrage nach der Zubereitung der Chilisauce, die zu meinen deftigen vegetarischen Frühstücksempanadas gereicht wird, ist nicht so erfolgreich. Der Inhaber und Erfinder ist nicht da. Ich solle doch Pinterest durchsuchen und Balsamicoessig wäre Teil des Geheimnisses.
Da am heutigen Tage weder gestorbenen Soldaten noch gestorbenen Heilsbringern gedacht wird, haben auch die Fremantle Markets ihre Pforten geöffnet, in welchen sich neben dem üblichen Läden für esoterischen Schnickschnack, Seife und Hippi Klamotten es auch einen Street Food Bereich gibt.
Ja, sogar in Freo gibt es einen Food Court. Sorry Fremantle, aber du bist noch nicht ganz in der Riege der Großstädte angekommen, welche einen Food Court haben müssen.
Wir probieren uns mal los.
Der Einstiegs-Teriaky-Tofu-Bao, setz schon mal gekonnt den geschmackliche Mindeststandard. Alles darunter darf nun wirklich kein Geld kosten. Das Ding schmeckt nach fast Garnichts und ist nur ein Happen der mit 9$ dann auch wirklich gut bezahlt ist. Wieso macht man das eigentlich immer wieder? Diese kleinen gedämpften Hefeteigfalten kosten ähnlich viel, wie eine vollwertige Mahlzeit, aber haben vielleicht 7 Kalorien. Nicht falsch verstehen, Baos sind ein grandioses Gericht, bei dem man meint, die ganze Welt Südostasien in einer Wolke zu essen, aber selbst dafür sind sie eigentlich immer zu teuer.

Das Credo 'ich probiere alles' hilft nur maßgeblich bei der schwierigen Entscheidung nach dem nächsten Gericht. Es gibt Tibetisch. Laphing heißen die kalten Nudeln gefüllt mit Soyagranulat, was für ein unappetitliches Wort. Angemacht wird es mit Soyasauce, Knoblauch und Chiliöl. So einfach wie es klingt ist es auch. Das Innere hat eine Konsistenz zwischen Hackfleisch und feuchten Brotstückchen, aber es ist gut. Die Nudel ist etwas weicher als die übliche Weizennudel und hat etwas weniger Textur.
Fazit, es muss nicht immer kompliziert sein. Es schmeckt nach Tibet. Ich glaube man weiß, was ich damit meine, auch wenn ich es nicht besser beschreiben kann.
Die Größe des Initial verzehrten Baos zwingt mich dann noch dazu, eine Banh Mi mit Pork Belly zu verzehren. Die Kruste der Schweineschwarte könnte man glatt jeden Sonntag in Niederbayern servieren. Vielleicht sollte man mal einen asiatischen Schweinebraten versuchen. Nur so ne Idee.

Mit ausreichend Essen und Wut auf den Preis von Baos im Bauch, machen wir uns auf den Weg in die dritte Stadt, Perth.
Wie ein guter Feinschmecker spitzen wir uns mit zwei Gläsern Rose richtig schön an, um dann tief im kulinarischen Perth zu bohren. Der anvisierte Food Market hat dann aber nur zwischen Oktober und März offen.
Dann müssen es die Asiaten richten. Zum ersten Mal auf dieser Reise begeben wir uns in ein koreanische BBQ Restaurant, das scheinbar randlos mit Gästen gefüllt ist, deren Ahnen wohl eine bestimmte Zeit im asiatischen Raum verbracht haben. Es wirkt sehr echt.
Entgegen des Anratens unserer Tischnachbarinnen, trinken wir keinen Liter Reiswein, sondern lassen uns Bier zu unserem Essen reichen. Das Restaurant ist koreanisch, heißt für mich, fermentierter Kohl.
Überraschenderweise behauptet der Kellner mein Kimchi Pork BBQ sei eigentlich gar nicht scharf, nur um mir dann als einzigen optionalen Schärfegrad "super hot" anzubieten. Ohne jegliche Erfahrung in koreanischem Schärfeempfinden bleibe ich mit leicht enttäuschter, aber rationaler Miene bei der Standardausführung.
Die gelieferte Schärfe ist dann schon so an meiner Grenze, dass das hier ganz knapp an der Beschreibung aller existierenden biologischen Symptome von übermäßiger Schärfe vorbei geschrammt ist.
Schaut euch dieses Gericht an. Ist es nicht wunderbar?

Geschmacklich ist es feurig und versprüht einen Funken Säure, was natürlich auf Gochugaru (Danke, Sonja) schließen lässt. Die Schärfe ist so aromatisch, dass es kaum andere Geschmackskomponenten benötigt. Das Fleisch ist, an dieser Stelle Entschuldigung für die Formulierung, wie vom Schwein geschabt. Fein und kräftig trägt es seinen Teil zum Gericht bei. Und zu guter Letzt noch das leicht die Zunge benetzende und prickelnde Kimchi. Wenn ich Perth auf dieses Restaurant reduzieren würde, müsste ich hier leben.
Meine Gegenüber verspeist ein ähnliches Gericht mit Tofu, ist sichtlich mehr betroffen von der Schärfe aber strahlt über beide Ohren, was vielleicht auch an der frisch erworbenen Hose liegt.
Abschließend ist mir noch wichtig zu erwähnen, dass die Chancen gut stehen in den nächsten drei bis vier Wochen keine weitere kulinarischen Ergüsse hier zu erhalten. Erneut steht das Leben und Essen aus einer Blechschüssel an. Die Eindrücke aus den besuchten Städten lässt uns aber gut gestimmt abreisen.
Unsere Gastgeber lassen es sich auch nicht nehmen uns auf der Abschiedstour zur Autovermietung eine Stopp bei der Wild Bakery einzulegen, sodass wir mit gutem deutschen Brot abreisen können. Was soll man sagen, es schmeckt wie es aussieht. Affengeil.
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