Eintönig in Diversität
- Alex
- 24. Apr. 2023
- 7 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 16. Mai 2023
Angekommen in Auckland ahnen wir noch nicht, dass wir hier genau dort weitermachen werden, wo wir in Christchurch aufgehört haben. Schlemmen.
Erstmal empfängt uns Shaggy in unserem Bus vom Flughafen in die Stadt. Die überaus nette Busfahrerin beschallt alle Reisenden im Anschluss auch noch mit der Titelmusik von Sister Act. Überwältigt von dieser Erheiterung, beschließen wohl alle an Board sich persönlich bei unserer DJane zu bedanken. Es wird sich noch herausstellen, dass dieses, für den im öffentlichen Raum konversationsscheuen Deutschen unvorstellbare Verhalten, hier Normalität ist. Voller Vorfreude steigen wir in den zweiten Anschlussbus und flüstern zum Abschied ein kleinlautes "Thank you Driver".
Ein weiser Mann sagte einst "Städte sind die kulinarischen Spiegel ihrer Nation" und Auckland wird uns innerhalb von zwei Tagen eine besondere Reflektion bieten.
Mein erster Gedanke als wir durch die Außenbezirke chauffiert werden: Lasst dem Rest der Welt auch noch ein paar asiatische Restaurants über. Es ist unfassbar. Hier zwei, nicht ganz zufällige, Screenshots, die aber demonstrieren wie dicht die Besiedlung durch thailändische, chinesische, malaysische, philippinische, koreanische und japanische Restaurants ist.
Zufällig wohnt unser Couchsurfing Host inmitten des asiatischen Highways, aber auch in der Innenstadt wiederholt sich das Bild. Es erinnert mich an Bangkok, nur dass jeder Essensstand hier einfach ein Restaurant ist.
Ich bin an den Ursprüngen und Ursachen dieser Entwicklung interessiert. Enttäuschenderweise finde ich keine offizielle Zählung der Restaurants, aber unzählige Liste mit Namen wie "Best 60 asian Restaurants", "The top 50 places for Korean cuisine", etc.
Ein Artikel erklärt mir, dass im Jahr 2018 ungefähr ein Drittel der Bevölkerung einen asiatischen Migrationshintergrund hat, Tendenz steigend. Viele sind schon seit einigen Generationen hier und daher hat sich eine Post-Migrationsküche etabliert die, und das ist doch genau was ein kulinarisches Herz hören möchte, keine Zugeständnisse an die Sensibilität macht. Soll heißen, authentisches und ungeschöntes Essen.
Wie schonmal erwähnt zählt für mich nicht nur das Essen an sich sondern auch die begleitende Erfahrung soll sich echt anfühlen. Wenn man nur einen Blick in das erste szechuan-chinesische Restaurant wirft, das wir besuchen, will einen hier niemand mit schickem Interieur oder Schiefergeschirr anlocken. Wir sollen einfach essen was es gibt und das ist genial.
Im Barilla Dumplings bestellen wir 18 vegetarische Dumplings, Sweet Aubergine mit Kartoffeln und Chinakohl mit schwarzen Pilzen in Essig. Dazu gibt es Jasmin Tee. Bitteschön.
Kurz bevor wir essen verspürt eine anwesende Greisin noch den Drang uns darauf hinzuweisen, die Teller unter den Tassen auch zu verwenden, nachdem wir uns suchend nach links und rechts gewunden haben. Beim Stäbcheneinsatz spüre ich den amüsierten Blick der Kellnerin unentwegt.
Die Dumplings passen ins Restaurant. Niemand schert sich darum wie sie aussehen, sie sind nicht arrangiert und trotzdem sind sie handwerklich perfekt. Geschmacklich etwas eindimensional, eine Begebenheit, welche leider bei vegetarischen Dumplings oft vorkommt. Die schon am Tisch stehende Dippingsauce, löst dieses Problem aber mit Leichtigkeit.
Die Aubergine hält was sie verspricht, ist süß und cremig, die Kartoffel nicht ganz durch. Der Chinakohl ist genial. Die vinaigretteartige Sauce läuft schon vom Teller auf die Plastiktischdecke und ist so aromatisch süß-sauer, dass es sogar den durchaus präsenten Essig in den Schatten stellt und kein beißender Geschmack entsteht. Zum reinlegen, genug Sauce ist inzwischen sogar auf dem Tisch.
Am zweiten Tag wollen wir einerseits unseren Horizont erweitern und andererseits das gestern geschehene einordnen. Daher gibt es vom Eden Noodles Café vegetarische Dumplings in Spicy Sauce und Noodles in Spicy and Sour Sauce. Unser Host, bei dem wir dieses Mahl essen werden, empfiehlt für beide Gerichte eine milde Schärfe zu wählen, obwohl das Restaurant keine Auswahl an Schärfegraden anbietet. Ich zögere, er insistiert, ich zögere, Sonja ist schon längst überzeugt, ich stimme zu.
Ein sehr geschickter Schachzug, wie sich herausstellen wird. Beide Gerichte sind schon eher oben in meinem möglichen Spektrum an Schärfe. Als Nudel wählen wir eine "Wide Noodle", also keine klassischen Ramen oder Reisnudel.
Es stellt sich heraus, dass Aucklands asiatische Restaurants Tagliatelle perfekt al dente kochen. Auf den ersten Blick merkwürdig, man kommt ja auch nicht auf die Idee Parmesan auf seinen Fried Rice zu tun. Warum eigentlich nicht? Dicke Weizennudeln mit feurig scharfer und leicht saurer Sauce harmonieren perfekt auch weil Schärfe und Sauer wunderbar dosiert sind.
Selbiges gilt auch für die Dumplings. Es kommt erst gar nicht zu einem Anflug von Langeweile, weil die Sauce und die Füllung sich ausbalancieren und dabei die Geschmacksknospen brennen lassen.
Fotos hab ich selbstverständlich keine gemacht. Zu Gast, vier Leute, davon zwei Fremde, Plastikschalen, nicht die Umgebung die es meinem Mut erlaubt ein Foto zu machen. Hier ein paar Screenshots des Menüs.
Da ich bemerke für den restlichen Blog keine passenden Fotos zu haben gibt es ersatzweise Bilder von mir wie ich in die Ferne schaue, esse oder sonst etwas komisches tue.
Auckland gewährt mir noch eine weitere kulinarische Erkenntnis. Ein letzter Pie, der Klassiker unter den Pies, erlaubt mir ein finales Fazit über dieses Artefakt der neuseeländischen Küche zu ziehen. Der Mince Pie schubst seine Pastetenfreunde endgültig in den Abgrund der unliebsamen Speisen.
Der Inhalt, Hack in einer nicht identifizierbaren braunen Creme, schmeckt einfach so wie das Wasser, welches beim Braten das 500g Premium ja! Hackfleisch so schnell verlässt, wie die Hoffnung, dass das Rind ein glückliches Leben hatte.
Ergo, ein Pie macht günstig satt, mehr wirklich nicht. Da kann man auch direkt eine Banane in eine Semmel packen und essen. Natürlich hat dieser absurde Vergleich eine Geschichte. In kurz, der Stockholmer Flughafen entschied sich Humus als Flüssigkeit einzuordnen und ließ mich und meinen hochgebildeten Kompagnon mit einer Banane und Semmeln zurück. Die Kombination war ein Versuch wert. War durchaus ein Erlebnis, aber es ward auch nicht wiederholt.
Pommes essend und Bier trinkend an der Waterfront in Auckland
Apropos Pie und Humus. Kommen wir zur Evaluation der Snacks.
Zuerst aber noch etwas zum Thema Humus, das mich schon sehr lange beschäftigt. Wieso übersteigt alles außer den Humussorten Normal und Kürbis die Vorstellungskraft deutscher Supermärkte? Es wird langsam echt Zeit, dass der Filialleiter Heinz durch einen Noah oder eine Mia ersetzt wird.
Im Jahr 2017 hatte jeder kleine City Supermarkt in Amsterdam eine Auswahl von mindestens 5-10 verschiedenen Humussorten. City Supermarkt, welches Geschäftsgenie und morallose Wesen kam auf die Idee in jeder leerstehenden Immobilie in Großstädten, die groß genug für ein Regal und eine Kasse ist, ein Lebensmittelladen mit fünf Produkten und 200% Aufschlag im Vergleich zum normalen Supermarkt, der auch in der Stadt ist, zu eröffnen. Und wir Idioten kaufen da auch noch ein. Genie und Wahnsinn sind oft nah beieinander. Auf jeden Fall muss mehr Kichererbsenpüree ins Deutsche Kühlregal.
Genie und Wahnsinn nah beieinander
Bis auf ein paar lokale Chips, die mit exotischen Geschmäckern werben und zu meinem Entsetzen 10g weniger enthalten als das deutsche Markenpendant, essen wir kaum örtliche Spezialitäten. Ich will hier die Chance nutzen und ein für alle mal in aller Öffentlichkeit klären, eine Packung Chips ist auf einmal, ohne Unterbrechung zu leeren.
Vorrangig ziehen uns Süßigkeiten in ihren Bann, welche im Supermarkt mit niedrigen Beträgen in großer Schriftgröße gekennzeichnet sind. Erstaunlich häufig sind das Oreos. Was viele nicht wissen, Oreos sind vegan.
Da stellt sich natürlich die Frage warum der Keks, der seit 1912, ja seit 1912, auf dem Markt ist, nicht als vegan beworben wird. Es wird sogar suggeriert, dass Milch enthalten sei. Vermutlich würde der stupide Verbraucher, bei plötzlicher Bewerbung dieses Faktes, glauben, die Rezeptur sei geändert worden. "Jetzt verbieten die Veganer uns nicht nur das Tiere töten sondern klauen uns auch noch die Kekse".
Im übrigen braucht ihr andere Sorten, wie Double Creme oder Golden, nicht zu probieren, das Original ist aufgrund der geringeren süße durch den schokoladig-herben Keks unschlagbar.
In die Ferne schauend
Der wichtigste alles Snacks und kein unbedeutender Charakter in Sagen und Mythen: Der Apfel. Noch dazu lokal angebaut.
Zu Ihrem Glück haben sich die Neuseeländer auf die beste aller gängigen Apfelsorten fokussiert. Ich sage das nicht einfach so, mit einer Gruppe Neugieriger haben wir das noch in der schönen Heimat getestet. Nach einem ausgiebigen Abendessen, mehreren Stunden und neun verschiedenen Sorten gab es einen klaren Gewinner. Royal Gala. Wie der Name schon verrät, königlich und galaktisch. Er besticht durch die fast sichere Abwesenheit von Mehligkeit, hat eine nicht zu dicke Schale und eine angenehme aber präsenter Säure. Er trifft das Anforderungsprofil eines Apfel so zielsicher wie Wilhelm Tell nicht den Kopf seines Sohnes Walter.
Die Antwort, wie man einfach so neun Äpfel essen kann, beantwortet auch die Frage, die sich sicher schon viele gestellt haben. Wieso werde ich, wenn ich hungrig einen Apfel esse, noch hungriger. So ganz klar ist das nicht. Es hängt aber auf jeden Fall mit der appetitanregenden Fruchtsäure und dem im Apfel enthaltenen Piktin zusammen. Piktin ist ein Ballaststoff, kein Ballaststoff, und damit für die Sättigung zuständig. Die im Apfel enthaltene Menge ist jedoch viel zu gering, um zu sättigen. Die Verdauung ist nun aber angeregt und man bekommt mehr Hunger. Wer bei Äpfeln auf leeren Magen leichte Bauchschmerzen bekommt verträgt die Säure nicht so gut, ein weit verbreitetes Phänomen. Ihr seid nicht allein, Sonja hat das auch.
Sitzend an Land und zu Wasser
Spontan überkommt mich eines Tages ein Gelüst auf Würschtel. Zum Beispiel schwarz-geräucherte aus der Oberpfalz oder eine gute Bratwurstsemmel. Ich wusste nicht, wie ich das einbauen soll, also steht es jetzt einfach hier.

Augen zukneifend
Zum Schluss dürfen hier zwei Dinge nicht fehlen. Ich beginne mit meinem kulinarischen Neuseeland Fazit.
Man ist hier ganz schön auf sich alleine gestellt. Die Vorstellung, was manche Leute, die auch Zuhause nichts mit Kochen am Hut haben, hier in ihrem Van zubereiten und dann auch noch essen, lässt mich schaudern. Ich behaupte, wir geben uns Mühe, aber über die Dauer des Aufenthalts freut man sich nicht mehr darüber, dass man dieses mal zusätzlich Pfeffer in seinen Wrap rieselt.
Abgesehen davon, denn dafür kann der Neuseeländer ja nichts, bieten sie einem hier auch nicht mehr als guten Fisch an der Küste und das ist nunmal überall so, wo Küste ist. Leider haben die Briten ihr kulinarische Beschränkungen hier verteilt und kaum jemand kommt auf die Idee mal zu gucken was die Nicht-Briten so treiben.
Wie schon erwähnt, ist die Seite der Maori sehr dünn. Das hat sicher vielschichtige und keine triviale Gründe. Aber, und das ist die wirklich gute Nachricht, es gibt eine riesige multikulturelle Diversität, die sich zeigt. Heute sind die Städte ein pulsierender Spiegel dieser Vielseitigkeit und die kulinarische Seite kann sich mehr als sehen lassen. Vielleicht in Zukunft ja das ganze Land.

Zufrieden sitzend bei Quesadillas und Bier
Zum Abschluss möchte ich die Kategorie Essentielles einführen. Sie beinhaltet alles was ich mitnehmen will und schlussendlich in meiner Küche wiederfinden möchte.
Essentielles aus Neuseeland
Chimichurri mit Rotwein und Vanille
Tagliatelle in asiatischen Gerichten oder ein asiatisch-italienisches Crossover
Ein Maori Kochbuch
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