Blick über den Campingtellerrand
- Alex
- 29. März 2023
- 7 Min. Lesezeit
Wir landen also frühmorgens in Christchurch, Neuseeland, hungrig und ohne Gepäck. Zur Sicherheit haben wir alle relevanten Dinge in unserem Aufgabegepäck platziert und müssen jetzt erstmal, wie sich herausstellen wird, sieben Tage mit einer Kamera, zwei Kreuzworträtselheften, jeglicher Ausprägung von USB-Kabeln und Unterwäsche, die wir jetzt schon zu lange tragen, auskommen.
Zur Erinnerung, die vergangenen Tage habe ich mich viel mit dem Input und Output meines Flüssigkeitshaushaltes beschäftigt.
Nachdem ich aktuell Hunger, Bauchkrämpfe und andere darmbezogene Bedürfnisse nicht unterscheiden kann, entschließen wir uns der Widrigkeiten zum Trotz, einen kulinarischen Ausflug zu machen.
Zum Glück hat der fußläufige Supermarkt schon um 8:20 Uhr eine umfangreiche Auswahl an lauwarm-feuchten Pizzastücken. "Wo ist nur unser Anspruch hin?" fragen wir uns im lagerfeldschen Kontrollverlust, auf einem Supermarktparkplatz sitzend.
Die an uns herangetragene Schätzung von 3-15 Tagen der Gepäcksuche und -zustellung veranlasst uns direkt 500 km zu zwei Lebensrettern aufzubrechen. Sie empfangen uns spätabends nicht nur mit Nudeln und Pesto sondern auch mit Klamotten. Das Essen ist ungelogen grandios. Es liegt nicht am hochqualitativen Pesto oder den auf den Punkt gekochten Macaroni, sondern es schmeckt nach purer Erleichterung. Wir fühlen direkt, dass wir mit der Hilfe der Zwei irgendwie durch die Tage/Wochen ohne unsere Sachen kommen werden.
Nudeln mit Pesto. Zu Gast bei privaten Gastgebern ist das eine komplizierte Angelegenheit. Alleine daheim schaufle ich rücksichtslos und beinahe literweise das meist grüne Wundermittel auf meine Nudeln, nur um jedes mal festzustellen, es hätte so viel nicht gebraucht. Geschadet hat es aber auch nicht.
Als Gast hingegen, muss man Höflichkeit wahren und darf auch nach der Aufforderung "lang ruhig zu" nicht die vorher beschriebene Menge wählen. Ich nehme der Etikette entsprechend und genieße. Im Glas bleibt ein Rest, welcher natürlich nicht ansatzweise für eine weitere Portion reicht.
Unser erster Einkauf befähigt uns am folgenden Abend Udon Nudeln mit Gemüse und Pad Thai Sauce zu kochen. Udon Nudeln, die dickste unter den japanischen Nudeln (hier bewusst kein Witz) aus Weizen gibt es hier, wie auch im Asia Markt in Deutschland, getrocknet und portioniert zu kaufen. Ich empfehle folgendes Gericht: https://www.bonappetit.com/recipe/kimchi-udon-with-scallions ... Ich vermisse mein Kimchi.

Während wir Gemüse schneiden schnallt mein Puls in die Höhe, weil ich im Augenwinkel erspähe, wie Karotten, ungleich meiner Präferenz für dieses Gericht, nicht julienne geschnitten werden. Ein nicht irrelevantes Vergehen. Ich zügle mein Temperament, sage nichts und entschließe meinen Punkt in einer ruhigen Minute vorzutragen. Langjährige und wiederholte Erfahrung mit dieser Situation zeigen, es macht keinen Unterschied wie und wann diese Kritik verübt wird. Die Freudensprünge bleiben aus.
Ich zähle mich zu einer Gruppe von Menschen, die bei Form und Größe von Gemüse, je nach Gericht, eine spezifische Vorstellung hat. Eine sehr kleine Auswahl an Personen bekommt dies dann verbal nach dem ersten Vergehen vorgetragen.
Wichtig ist es mir, weil es zum einen die Garzeit und das Vermengergebnis beeinflusst und weil ich hin und wieder mal Kochvideos gesehen habe und dies jetzt in pedantischer und überheblicher Manier zur Schau stellen muss.
Es schmeckt trotzdem und stillt den Hunger, auch wenn sich die verwendete Pad Thai Sauce als nicht-vegetarisch herausstellt. Oystersauce spielt den Bösewicht. Das Sonja von ihrer vegetarischen Ernährung gegebenenfalls abweichen muss, haben wir ja erwartet, aber nicht auf diese leichtsinnige und selbstverschuldete Weise.

Apropos vegetarisch. Auf einem kleinen Spaziergang zu viert am Gibbston River werden wir von unzähligen Hasen begleitet. Das bringt die Herren der Schöpfung zu einer Fragestellung ihrer maskulinen Urtriebe. Könnten wir einen Hasen mit bloßen Händen und natürlichen Hilfsmitteln erlegen? Ich erspare die zielführende Diskussion. Die Antwort ist natürlich, ja!
Da uns eine Leidenschaft für das Zubereiten von langwierigen und komplizierten Gerichten verbindet, ist die folgende Fragestellung viel interessanter:
Wieso beinhaltet der Großteil der Gerichte, die unserem Wunsch nach Zubereitungsdauer und Komplexität entsprechen, Fleisch?
Ich kann den Aufschrei der kochaffinen und vegetarischen/veganen Leserschaft förmlich hören. Vermutlich vollkommen zurecht. Ich bitte höflichst um Erleuchtung, mir ist noch nichts dergleichen bekannt.
Bekannt sind mir hingegen Rezepte, in welchen man aufwendig Gemüse in die Form und Optik von klassischen fleischhaltigen Speisen bringt oder eine leckere fleischlose Bratensauce zaubert. Ich möchte aber Teile des Gerichts perfekt timen und temperieren müssen und dieselbe Komponente verschiedenartig im Gericht einsetzen. Ein Pilz als Fleischersatz in "Beef" Wellington benötigt einfach nicht dieselbe Aufmerksamkeit und Präzision.
Ich gestehe, viel danach gesucht habe ich nicht. Vielleicht hilft mir ja jemand etwas auf die Sprünge.
Zurück zu Realistischerem im Camping Setup. Es gibt Penne Arabiata. Klingt simpel - ist es auch - aber simpel heißt nun mal nicht schlecht. Simpel und herausragend ist meist schwieriger als kompliziert und besonders. Während des Essens an einem schiefen Campingtisch, der mit einer Oberfläche ausgestattet ist, welche dem Geschirr darauf genau so wenig Reibung entgegensetzt, wie die AfD Rechtsradikalen, komme ich mir nicht direkt vor, wie in einem italienischen Restaurant mit gemütlichem Ambiente. Ich tue so, als wäre mir nicht kalt und muss feststellen, die Umstände lassen mir das Essen schlechter schmecken. Experience trägt für mich etwas Bedeutendes zum Geschmack bei.
Die immer wiederkehrende Diskussion, ob die Preise in Sternerestaurants aufgrund des Essens und der Experience gerechtfertigt sind, eröffne ich jetzt nicht.
Für mich halte ich fest, die Umstände auszublenden, das Campingessen zu nehmen, wie es ist (aber nicht bevor ich mich im folgenden Abschnitt noch kurz darüber echauffiere) und mich an den Orten, an welchen wir essen, zu erfreuen. Wir füllen unsere Münder nämlich unter anderem hier.
Warum ist Campingessen eigentlich so unspektakulär. Erstmal eine kleine vereinfachte Auswahl aus den ersten 14 Tagen.
Nudeln mit Tomatensauce
Nudeln mit Gemüse und einer Sauce
Wraps mit Gemüse/Hülsenfrüchte
Udonnudeln mit Gemüse und Sauce
Reis mit Gemüse und Sauce
Couscous mit Gemüse
Salzige Haferflocken - mal eine Abwechslung, aber für mich auch kein Ausreißer. Später mehr zu Haferflocken
Was sofort auffällt, man kann nicht klassisch eine Hauptkomponente mit Beilagen und Sauce kochen, weil man nur eine Kochfläche hat. Man kann nichts länger garen, weil einem sonst das Gas ausgeht. Man kann keine grundverschiedenen Konsitenzen herstellen, weil einem die Kochutensilien wie Mixer oder Spätzleheber (Schaumlöffel) fehlen. Außer einem gelangt eine Kartoffelpresse in die Hände, wie Ina und Fabi. Dann wäre da aber wieder das Garproblem. Und Gewürze.
Ich kauf doch hier kein Arsenal an Gewürzen, um sie dann einem 18-jährigen Abiturienten in Australien an einem Campingplatz in der "Gib-und-Nimm-dir-Ecke" zu überlassen. Glaubst ja selbst nicht, dass der gibt.
Dann halt wieder zurück zu den oben genannten Gerichten. Sind ja nur 10 Wochen.
Die Überlegung auf hochwertigere und spezieller Zutaten zurückzugreifen, ignoriere ich. Ich glaube nicht, dass z.B. Parmesan mich über den geschmackliche Berg hievt, den Campingessen alleine nicht erklimmen kann und für einen Halbschwaben ist der fest-bröselige und salzige Klumpen, der idealerweise einmal über die Weltmeere gereist ist, hier dann doch zu teuer.
Vielleicht ist ja das Frühstück der Heilsbringer. "Nicht zu verwechseln mit dem Frühstuck." - Fabian Glaser. Zweiterer hat wohl mit Nachwuchsproblemen zu kämpfen. Dazu ein Zitat von Prof. Dr. Michael Petzet, Präsident des Deutschen Nationalkomitees von ICOMOS (International Council on Monuments and Sites) aus dem Jahr 2010: "Die konservatorischen Fragen der Sicherung und Festigung, der Reinigung, Ergänzung und Teilrekonstruktion von Stuck und Stuckmarmor setzen jedenfalls differenzierte Kenntnisse der historischen Materialien und Arbeitstechniken voraus, [...]. Wenn es in Zukunft bei der Bewältigung ähnlicher
restauratorischer Aufgabenstellungen zu Problemen kommen sollte, liegt es am Nachwuchsmangel und unzureichender Ausbildung, an einem die Kontinuität gefährdenden Generationswechsel in den spezialisierten Betrieben, -Lücken in der Weitergabe handwerklicher Traditionen bei einem für die Denkmalpflege unentbehrlichen Berufszweig." Wer also noch nach einer bedeutenden und außergewöhnlichen Berufung sucht, hier ist deine Chance.
Also Frühstück, Semmeln mit Aufstrich, Käse, Gurke, top. Viel häufiger greifen wir aber zu Haferflocken, dem Alleskönner unter den anspruchslosen Energielieferanten, mit etwas Banane. Bei genauerem Hinschauen finde ich, ist die Banane sozusagen die Haferflocke des Obst. Super Energielieferant, aber geschmacklich nicht gerade außergewöhnlich. Was ein Match. Der kulinarische Retter ist diese Kombination unter Gleichen nicht. Identische Paare waren noch nie der Knaller, außer vielleicht die Huber Buam.
Viele sagen ja eh, ein gutes Frühstück braucht ein Ei oder zwei. Die Neuseeländerin würde sich aktuell ohne mit der Kiwi zu wackeln für maximal ein Ei entscheiden. Das liegt daran, dass Neuseeland sich 2012 dazu verpflichtet hat in 10 Jahren keine Käfighaltung bei Hühnern mehr zuzulassen. Das ist sehr gut und halt jetzt. Die Transformation sollte idealerweise vollbracht sein, ist sie jedoch nicht. Nachdem durch den Ukrainekrieg nun auch noch Futtermittel knapp sind, hat man einen soliden Eiermangel. Wie einst Oliver Kahn, sagen die Neuseeländer aber immer noch "Eier, wir brauchen Eier". Import ist auch keine valide Option, da die Vogelgrippe in potentiellen Exportländern auch den letzten kleinen Kiwi dahinraffen würde. So heißt es logischerweise im Supermarkt wie bei Monty Python "Jeder nur ein Kreuz, äh Eierkarton".
Nach Monty Python wurde übrigens die Programmiersprache "Python" benannt. Daher spricht man es auch Peitn und nicht Peisn oder Peifn aus. Gern geschehen.
Bisher habe ich mich nur mit der Umsetzung mir schon bekannter Gerichte im Camping-Rahmen beschäftigt. Aber was ist eigentlich mit neuseeländischen Spezialitäten. Eine kurze Internetsuche ergibt Folgendes. Meeresfrüchte, Lammfleisch, Hangi (Essen, das in der Erde gekocht wird) und Pies, also Pasteten.
Das kann natürlich nicht gegen zum Beispiel Klassiker Norddeutschlands, wie Himmel und Erde (Kartoffelbrei, Apfelmus und Blut-/Grützwurst oder Grünkohl mit Pinkel) anstinken.
Der Reihe nach. Der Kenner der Meeresfrucht meines Vertrauens, hier in seinem gewohnten Umfeld,

erzählt mir von einer typischen Speise, die sich Seafood Chowder nennt. Frisch gewaschen und mit der Entscheidungsfreudigkeit von Großgruppen im Urlaub, finden wir irgendwann ein passendes Restaurant.

Ich bin begeistert. Es hat eine ungewöhnlich Konsistenz. Es ist keine Suppe, kein Brei oder Creme, dabei aber sehr dickflüssig. Es trägt einen intensiven Geschmack nach Meer, der optimal von der Kartoffelbasis abgefangen wird. Man erkennt mit Zunge und Zähnen Krabben, Muscheln, weißen Fisch und Tintenfisch. Es ist nicht einfach ein Meerespüree.
Perfekt beschreibt es der Kenner: "Der Seafood Chowder besticht durch eine Melange aus den kräftig-herzhaften Tönen der dicken Kartoffelbasis und den aufbrausenden Salznoten der Meeresfrüchte, welche durch die Zugabe von ausgewählten Kräutern an Raffinesse und Tiefe gewinnen. Fazit: Ballert!"
Vielleicht ist die lokale Küche doch beachtenswerter als gedacht.
Weiter geht es mit Pie, ein Mitbringsel der britischen Kolonialmacht, die sicher nicht für ihre exquisite Küche bekannt ist. So richtig Glück hatten die Neuseeländer mit ihrer kulinarischen Kolonialisierung nicht, alternativ wären die Niederländer noch hier gewesen.
Pork Belly Pie mit Chinese Five Spices ist meine, vielleicht nicht offensichtliche, erste Wahl. Viel Blätterteig, eine herzhafte, saucige Füllung mit piccolini-ähnlicher Potenz zum Gaumen verbrennen. Die Five Spices, Sternanis, Szechuanpfeffer, Zimt, Fenchel und Gewürznelken sind sofort zu erkennen. Das Pork Belly schön fettig und zart. Eine wunderbare Zwischenmahlzeit, muss ich anerkennend zugeben. Der zweite Pie ist vegetarisch und holt damit auch Sonja ab. Ihre Zusammenfassung: "Matschig, orientalische Füllung. Zimt, Karotte, Bohne, Kartoffel. Hab ja jetzt gar nicht drauf geachtet, du musst mir das schon vorher sagen."
Ich gebe zu, etwas unfair aber ich kann nur zustimmen, wir (Menschen) essen sehr häufig nur unbewusst. Neuer Versuch ein andern mal.
Zu guter Letzt gibt es noch die Küche der Maori, die indigene Bevölkerung Neuseelands, zu ergründen. Soweit hatte ich dazu noch keine Gelegenheit. In einem kleinen Buchladen fällt mir dieses Buch ins Auge und spricht mich direkt an.

Mein Interesse an der maorischen Küche ist geweckt. To be continued.
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