An den Nudeln herbeigezogen
- Alex
- 24. Aug. 2023
- 5 Min. Lesezeit
Die kirgisischen Mamas begegnen mir als sehr strukturierte und gut vorbereitete Mamas, vor allem in der Küche. Man muss vielleicht ein Auge zudrücken was das gemeinsame Verständnis von vegetarischem Essen angeht, denn den meisten ist das Konzept einfach nicht geläufig. Solange man es nicht mit den Zähnen zerkauen muss, ist es vegetarisch. So oder so ähnlich scheint man es hier handzuhaben. Brühe aus Knochen und Fleisch? Vegetarisch! Fleisch angebraten für den Geschmack und die großen Fleischstücke entfernt? Vegetarisch! Ganz bisschen Fleisch im Dumpling? Vegetarisch! Zumindest war Sonja vorbereitet, dass es hier so zugehen könnte.
Sehr streng hingegen, ist man hier bei der Definition eines Abendessens. Es muss ausnahmslos immer aus einem Salat, einer Suppe und einer Hauptspeise, meist mit vielen Kohlenhydraten und Fleisch, bestehen. Und ich muss sagen, daran könnte ich mich gewöhnen. Leider verbringt man dann schnell jeden Tag 1-2 Stunden fürs Abendessen in der Küche.
Überraschenderweise wird uns innerhalb von zwei Wochen eine volle Bandbreite an Suppen serviert. Von Rinderbrühe mit Fleisch, Kartoffeln oder Nudeln, über Käsesuppe, erstaunlicherweise sehr lecker, Linsensuppe und Borschtsch, ist alles dabei. Vorallem die Suppe die man beim fünften Versuch immer noch nicht aussprechen kann, tut es uns an. Rote Beete Suppe mit Kohl und Fleischstreusel in Sterneküchemanier. Rote Beete ist hier sowieso ein ständiger Begleiter und sie verleiht der Suppe mit ihrem fruchtigen und wurzeligen Geschmack eine ganz besondere Note.
Auch als Salat wird uns die Wurzel häufig vorgesetzt. Und auch sonst gibt es immer Salat. Die Köchinnen lassen sich partout nicht davon abbringen. Als Sonja krank ist, teile ich unserer Gastmama mit, doch bitte nur eine Suppe für sie zu kochen, sonst nichts. Auch wiederhole ich erneut ihren Vegetarismus. Zum Abendessen gibt es dann Salat, Suppe und zu meiner
Überraschung für Sonja ein anderes Hauptgericht als ich bekomme. Nur um dann festzustellen, dass ihr Reisgericht neben Eiern auch Fleisch beinhaltet.
In einem kleinen Bergdorf biete ich der liebenswerten Nazira, die versteht was vegetarisch bedeutet und grandios kocht, nicht ganz uneigennützig meine Hilfe in der Küche an. Sie lehnt ab, sie habe schon eine Küchenhilfe aus dem Dorf, die gleich kommt. Ich bleibe hartnäckig und erkläre ihr, dass ich gerne sehen und verstehen möchte, was und wie sie kocht. Ungewöhnlich sei das für einen Mann, meint sie. Normalerweise sind das immer nur Frauen, die Interesse am Kochen zeigen.
Nach ein paar neugierigen Fragen meinerseits stellt sie mich dann als Tester, Abschmecker und Knoblauchschäler ein. Wir unterhalten uns gut, mit Sprachbarriere. Sie erzählt von ihrer Familie. Ihr Mann ist mit 53 in Pension, weil er jahrelang in der im Dorf ansässigen Kohlemine, wohlgemerkt in 2.300 Metern Höhe, gearbeitet hat. Jetzt betätigt er sich noch ein wenig als Elektriker, jedoch als ein sehr schlechter, laut Nazira. Ihren Mixer muss sie am Boden einstecken.
Ein paar Geheimnisse verrät sie mir dann noch. Ihr sensationeller Auberginensalat besteht hauptsächlich aus Knoblauch und Sesamöl und ihr Lazjan ist maximal simpel. Das muss ich vielleicht kurz erklären.
Lazjan oder Lazy ist eine kirgisische Chilipaste, die es in jedem Haushalt und Restaurant gibt und allgemein zum individuellen Schärfen benutzt wird. Leider kein Vergleich zu Sambal aus Indonesien. Die Chilis geben es einfach nicht her. Meistens ist es nicht besonders scharf und wenn dann auch nur das, ohne viel weiteren Geschmack.
Naziras Lazjan hat hingegen etwas Schärfe und schmeckt auch noch gut. Meine Begeisterung erhält dann eine satten Dämpfer. Gehackter Knoblauch, Chiliflocken und etwas heißes Öl. Voilà.
Wir kochen dann noch eine kirgisische Bolognese, ich erinnere sie an das Brot, das sie fast im Ofen vergisst und wir diskutieren darüber, ob der Salat noch mehr Salz benötigt. Aus Dank lasse ich der Frau mit den natürlichen blonden Strähnchen dann mein wohlbehütetes geheimes Rezept für Kartoffelsalat da.
Eine Sache die Nazira nicht für uns kocht, wir aber überall anders immer essen, ist Laghman. Das aus gezogenen Nudeln bestehende Gericht, dass hauptsächlich als uigurisch bekannt ist, hat sich zum heimlichen Nationalgericht gemausert. Die verschiedenen Varianten nennen sich Laghman Uigur, Guiro oder Boso.
Es ist wortwörtlich zum reinlegen. Zumindest sieht Sonja hinterher so aus. Übrigens auch ein gutes Hilfsmittel, um die verschiedenen Laghmans zu unterscheiden. Uigur and Guiro macht viele kleine leicht rote Flecken auf Tshirt und Hose, weil es entweder Nudeln in einer Suppe oder in viel dünner Soße ist. Bozo hingegen macht dicke dunkelrote Flecken. Es ist die in viel Öl gebratene Ausführung, immernoch in rot.
Das mit Abstand beste Laghman, und für Sonja tatsächlich vegetarisch, bekommen wir in Karakol im Altyn Kumara. Meine Soße ist extrem würzig, hat einen wunderbaren deftigen Geschmack, den man der Flüssigkeit ansieht. Der überwiegende Geschmack ist Paprika, Tomate und Pfeffer. Das Gemüse hinterlässt aber keine Frische sondern etwas tiefes, deftiges. In Boso finde ich häufig Sellerie, der die fehlende Bratensoße kompensiert. Als Finish kommt immer noch etwas Petersilie obendrauf. Überraschenderweise kann Sonja genau das gleiche über ihre vegetarische Variante sagen, obwohl hier die deftige Note durch etwas anderes als Fleisch gegeben wird - durch was bleibt ihr ein Rätsel.
Ich kann nicht anders und muss fragen, wie man das kocht. Rindfleisch, nicht zu mager, Knoblauch, Zwiebeln und Paprika anbraten. Tomatensauce/-mark, Salz, Pfeffer und Wasser. Da fühlt man sich doch verarscht. Es ist so verdammt lecker und dann ist es so einfach. Das ist ja wie wenn man einen Piloten fragt, wie man ein Flugzeug fliegt und er sagt dann: "Gib einfach Gas, zieh am Lenkradsteuerdings und mach den Autopiloten an. Beim Landen einfach nicht zu feste aufkommen." Okay, genau so ist es wahrscheinlich auch.
Die Uiguren und ihre Situation in China ist sicherlich vielen bekannt. Die Umstände der Dugan, eine muslimisch-chinesische Volksgruppe, sind aber weitgehend unbekannt. Nach einer Rebellion im 19ten Jahrhundert wurden die Dungan in China brutal unterdrückt und flohen in drei Wellen nach Kirgisistan, Kazakhstan und Russland. Die ca. 30.000 in Kirgisistan ansässigen Dungan bezeichnen sich bis heute als chinesische Muslime, haben aber jegliche Verbindung zu China gekappt.
Kulinarischer Ruhm gebührt ihnen wegen eines Gerichts mit dem Namen Ashlan-Fu. In Karakol schickt uns unser Gastgeber Taalai nach einer ausgiebigen Wegweisung, die er mit seinem Fingernagel auf seinen Unterarm zeichnet ins Restaurant U Saida. Geführt von Dungan, soll es hier das beste Ashlan-Fu geben. Die Anzahl der Gäste unterstreicht diese Aussage.
Ich stelle mich an und beobachte gespannt die Hochgeschwindigkeitshände der Verkäuferinnen, während Sonja zwei Plätze sucht und sich hinsetzt. Sonjas Platzreservierung für mich wird dezent ignoriert und auf einmal sitzt sie inmitten von neun Personen ohne freien Platz für mich. Mit einem Tablett voll Essen und Aprikosensaft, mache ich mich aufgeregt auf den Weg zu ihr. Mein Platz wurde inzwischen geräumt und voller Vorfreude verschiebe ich im Vorbeigehen einen Stuhl samt essendem Kleinkind um einen Meter. Ein schneller Handgriff, eine entschuldigende Handgeste und der kleine Mann ist wieder, wo er hingehört.
Was wir da essen ist eine kalte Nudelsuppe. Dem Geschmack nach zu urteilen besteht die Suppe hauptsächlich aus chinesischem Essig und Tomaten. Noch etwas Frühlingszwiebel, Ei, Schärfe, Weizennudeln und Glasnudeln vom Block und man hat einen Wow-Effekt. So frisch, so würzig, genau die richtige Dosis Säure und sättigende Nudeln. Als wäre das nicht genug, ist es per Definition ein vegetarisches Gericht. Sonja ist im Himmel.
Zum Abschluss gibt es noch ein Lob an eine Sorte von Gerichten. Auf dem Bazar findet man immer Stände, an welchen sogenannte koreanische Salate verkauft werden. Sie bestehen aus allen möglichen Zutaten wie Kohl, Rote Beete, Blumenkohl, Karotten, Pilzen und vor allem Essig. Die hier verkaufte russische Version hat eine Vinaigrette, die, mit Abweichungen, aus Knoblauch, Koriandersamen und Cayennepfeffer besteht. Diese Salate oder auch Gribnoy, ein Shitake-Salat, bekommt man in Plastiktüten zum Spottpreis. Noch eine Plastiktüte als Besteck und man hat das perfekt Mittagessen.
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