Kirgisistan, Kirgistan, Kirgisien
- Sonja
- 18. Aug. 2023
- 8 Min. Lesezeit
Bereits im Flugzeug sehen wir die majestätisch hohen Berge dieses kleinen, unbekannten Landes und die Vorfreude steigt.
Am Flughafen von Bishkek erwartet uns Kairat, der ehemalige Tourismus-Chef von Kirgisistan, dessen Kontakt wir von unserem lieben Nachbarn Peter bekommen haben. Er empfängt uns mit einem Strahlen, was nicht nur an seinem komplett hellgelben Outfit liegt und seine ersten Worte an uns lauten: "Welcome to Kyrgyztan! Why you wear all grey? Where are the colours?"
Ein wahrer G'schaftler steht vor uns. Nachdem er uns zum Simkarten-Anbieter bringt, den Kauf für uns managed, uns mit Flyern vom Tourismusstand, den er ins Leben gerufen hat, eindeckt und sich telefonisch um die vor einer Minute vom Bankautomaten eingezogenen Kreditkarte von Alex kümmert, fährt er uns zu seiner liebenswürdigen Mama, bei der wir unsere ersten zwei Nächte verbringen. Direkt beginnen die Kommunikationsschwierigkeiten, welche uns im ganzen Land begegnen werden. Weder können wir Russisch oder Kirgisisch, noch sind wir des kyrillisch Lesens mächtig.
Direkt merken wir auch, dass das kein Problem darstellt. Die Gastfreundschaft der Kirgis:innen äußert sich hauptsächlich in Unmengen an Chai (Tee) und Essen, das einem angeboten wird und das man auch zu Verzehren hat: Brot, Honig, hausgemachte Marmelade, getrocknete Aprikosen in sechs verschiedenen Dörrstufen, Datteln, Rosinen, Schokolade, Nüsse, Pferdefleisch, kannenweise Tee, fermentierte Pferdemilch, frittiertes Brot - diese Liste hat keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
Wir erfahren außerdem in den nächsten zwei Wochen, dass den Kirgis:innen relativ egal ist, ob du Russisch verstehst oder nicht - sie reden einfach auf dich ein und ab und zu schafft es auch ein Lächeln über ihre Lippen. Das ist übrigens etwas, das wir hier oft beobachten. Lächeln scheint keine Geste zu sein, die automatisch mit Freundlichkeit einhergeht, denn ein solches sehen wir wirklich selten. Gleichzeitig lassen die Einheimischen dich ihre Gastfreundschaft mit ihren Taten spüren.
Der streng und fast aufdringlich klingende Taxifahrer, will dich wirklich zu einem fairen Preis an dein Ziel bringen. Die vermeintlich herrische Busfahrerin ist ehrlich bemüht, dir einen bequemen Sitz im übervollen Bus zu bereiten. Der alte Mann, der dich volllabert und mit Nachdruck auffordert ihm zum See zu folgen, will dir wirklich nur interessante Dinge erzählen, dir einen schönen Platz am See zeigen und dann selber seine Ruhe haben.
Bishkek und die anderen kirgisischen Städte, in denen wir Zeit verbringen, geben alle ein ähnliches Bild ab. Der sowjetische Charakter ist überall offensichtlich. Auf der einen Seite pompöse, majestätische Plätze, Bauten und Statuen, auf der anderen heruntergekommene Plattenbauten. Durch seine unzähligen saftig grünen Parkanlagen voller Menschen zu jeder Tageszeit sowie durch den entspannten Flair, der die Stadt umgibt, haben wir an Bishkek Gefallen gefunden. Auch Karakol und Kochkor vermitteln uns dieses Gefühl. Optisch ist es nicht besonders schön und gleichzeitig herrscht eine entspannte, charmante Stimmung, die wir genießen.
Unser meistgenutztes und auch das in Kirgisistan beliebteste Fortbewegungsmittel ist die Mashrutka. Das sind alte Mercedes-Benz-Sprinter, welche als öffentliche Busse im ganzen Land genutzt werden. Mit der Mashrutka zu fahren, hat ein paar Eigenheiten: Es gibt keinen Fahrplan.
Du gehst zur Station und hoffst, dass innerhalb der nächsten 10-120 Minuten dein Bus abfährt. Ist tatsächlich ein Gefährt da, das dein Ziel auf kyrillisch auf einem Schild in der Windschutzscheibe hat, und du ergatterst einen der wenigen Sitzplätze, kann es sein, dass dieser von einem alten Mann als von ihm reserviert beansprucht wird.
Du musst also immer damit rechnen, dass du die dreieinhalbstündige Fahrt im Stehen verbringen wirst. Abfahrt ist dann, wenn die Mashrutka voll ist. Voll heißt nicht, alle Sitzplätze sind belegt, sondern alle Sitzplätze sind belegt und alle Leute und ihr Gepäck, welche in den darauffolgenden 15 Minuten zum Bus kommen, stellen sich in den schmalen Zwischengang. Dass unterwegs weitere 12 Mitreisende aufgeklaubt werden, wir bei der Gangquetschung übrigens nicht berücksichtigt.
Preislich ist dieses Verkehrsmittel übrigens absolut unschlagbar. Für eine sechsstündgie Fahrt zahlst du ganze 4 Euro plus 1 Euro Gepäckgebühr. Für jegliche innerstädtische Fahrt sind 15 Cent fällig. Ein weiterer Pluspunkt ist, dass du dich überall auf der Strecke rauswerfen lassen kannst.
Mit unserem neuen Lieblingsverkehrsmittel fahren wir von Bishkek nach Yrgalan, einem verschlafenen Bergdörfchen im Osten des Landes. Auf unserem Weg dahin passieren wir den größten See von Kirgistan, während zu unserer anderen Seite ein majestätisches Bergpanorama liegt.
Die zuckersüße Nazira begrüßt uns in ihrem ebenso süßen Gästehaus, während wir uns zwei Tage lang an die Höhe, Yrgalan liegt auf 2300 Metern, und an das Schlafen in getrennten Betten gewöhnen. Unsere zwei wunderschönen Wanderungen führen uns entlang Bergkämmen, über nicht markierte (Irr-)Wege, vorbei an reitenden Nomaden, Schafsherden, wilden Pferden und hinauf auf 3100 Meter Höhe. Landschaftlich wird es sehr heimelig. Die Flora erinnert uns stark an unsere Alpen, während die Gipfel und Täler zahlreicher und mächtiger sind. Auch die Jurten, die uns immer wieder begegnen, verwandeln das Wandererlebnis von europäisch in zentralasiatisch.
Wir merken, dass wir von der grandiosen Ausschilderung des deutschen Alpenvereins und des neuseeländischen DOC verwöhnt sind und verlaufen uns bei Wanderung Nr. 2 mindestens 326 Mal, denn jeder "Pfad" endet in Wald oder Gebüsch, sodass wir teilweise durch kniehohes Gras waten, um irgendwie den Weg zurück zu finden, während wir uns lauthals darüber beklagen.
Wir fühlen uns nach den Tagen in Yrgalan das erste Mal so richtig in Kirgisien angekommen und sind bereit, die dreitägige Wanderung zum Ala Kul anzugehen. Der Gebirgssee liegt auf knapp 4000 Metern Höhe und uns wird empfohlen, die Wanderung zum See über den dahinter liegenden Pass und runter ins nächste Tal innerhalb von vier Tagen zu machen.
Da die Wanderung von Karakol aus startet, kommen wir für eine Nacht bei Taalai, dem wohl am besten informierten Mann Kirgistans, unter. Haarklein erklärt er uns anhand seiner liebevoll aufgebauten Karte unseren Weg und falls die Karte mal zu klein gedruckt ist, benutzt er voller Leidenschaft seinen Arm, um die Wege mit seinem Fingernagel darauf einzuzeichnen. Er bucht unsere Jurtenübernachtung für die erste Nacht, schickt uns zu drei verschiedenen Bazaaren, um uns mit Proviant einzudecken und bewahrt während unserer Abwesenheit sogar das Gepäck auf, welches wir nicht mitnehmen wollen. Mit Kleidung für jedes Wetter gewappnet - auch im Sommer kann man da oben von Hagel- und Schneestürmen überrascht werden - marschieren wir los. Der erste Tag führt uns durch ein so malerisches Tal, das schon ganz alleine das Highlight der Wanderung hätte sein können. Wilde Pferde grasen zwischen gigantischen Bergen und spitzen Tannen, der wilde Fluss rauscht an uns vorbei und erklimmen die ersten 1000 Höhenmeter.
Bereits um 14 Uhr kommen wir in unserem Camp an. Die Brüder, welche das Camp zusammen aufgezogen haben, begrüßen uns herzlich mit Chai, Keksen und getrockneten Früchten und da wir die ersten Ankömmlige des Tages sind, beziehen wir die einzige, gemütliche Zweier-Jurte.
Nach ein paar Stunden Nichtstun, dem Abendessen und Lagerfeuer kuscheln wir uns mit einer Extra-Decke, die wir von den Jungs bekommen, in unserer Jurte ein und schlafen erstaunlich gut.
Der nächste Tag begrüßt uns frühmorgens mit strahlendem Sonnenschein und nach einem stärkenden Frühstück machen wir uns auf zum Highlight der Wanderung: Der Ala Kul und der dazugehörige Pass. Während der Vorbereitung auf diese Wanderung, wurden wir oft gewarnt, wie herausfordernd, anstrengend und auch gefährlich der Pass ist. Uns erwartet eine Höhe von 3900 Metern, sehr steile Teilstücke und ein fünfstündiger Anstieg. Wir haben ja auch noch jeweils 10-13 kg auf dem Rücken.
Umso erstaunter sind wir, als wir nach bereits 3 Stunden am höchsten Punkt angekommen und gar nicht mal so am Ende sind. Die Aussicht ist einzigartig und bezaubernd. Die umliegenden Gipfel und Gletscher stehen mächtig in der Szenerie und der See sieht aus wie gemalt.
Eher schlitternd als gehend, meistern wir auch den steilen Abstieg wunderbar und kommen bereits um 11 Uhr bei dem Camp an, welches wir eigentlich beziehen wollten. Da wir anscheinend Maschinen und noch topfit und motiviert sind, beschließen wir spontan, die nächste Etappe, ca. 10 km, auch noch zu gehen.
Sie führt uns durch ein malerisches Tal, an dem wir uns kaum satt sehen können. Begleitet von einem Fluss und einem Kuh-Abtrieb, erreichen wir schließlich Altyn Arashan, das kleine Bergdorf, welches vor allem für seine Idylle und heißen Quellen bekannt ist.
Als wären wir nicht schon genug gegangen, marschieren wir weitere zwei Kilometer zu den heißen "natürlichen" Pools, welche zwar das natürliche Wasser aus dem Felsen beinhalten, jedoch von Menschenhand angelegt wurden. Der kurze Dip bringt nicht die gewünschte Erholung. Da es 32 Grad Außentemperatur hat, bringt uns das 35 Grad warme Wasser nur noch mehr zum Schwitzen. Im Winter nach einer langen Wanderung, ist das Ganze sicherlich großartig.
Tag drei der Wanderung ist entspannt, es geht für 17 km hauptsächlich bergab, durch ein wunderschönes Tal und wir kommen nach drei anstatt geplanten vier Tagen wieder gut in Karakol an.
Zu unserem Glück hat Taalai auch schon einen Tag früher ein Zimmer für uns und empfängt uns mit offenen Armen. Schnell malt er uns den Weg zu unseren Zimmer mit dem Nagel auf seinem Arm auf und rennt los.
Nach einem Tag Ruhe inklusive Besuch des Yssy-Kul, dem größten See Kirgisistans und gleichzeitig nach dem Titicaca (hihi) See der zweitgrößte Gebirgssee der Welt, beschließen weiter nach Tosor zu fahren, ein kleines Dorf nahe dem sogenannten Märchen-Canyon. Wir beziehen ein traumhaftes Jurtencamp, in dem wir uns jedoch nicht gerade wohl fühlen. Wir wissen nicht, was es ist, vielleicht die Sprachbarriere, jedoch haben wir das Gefühl nur angepflaumt, komisch angeguckt zu werden und nicht wirklich willkommen zu sein. Nagut, ist ja nur eine Nacht. Dafür ist unsere Jurte riesig, super schön und das Abendessen, bei dem wir Hannah und Florian aus Berlin kennenlernen und mit ihnen bis zum Umfallen quatschen, auch super.
Natürlich wollen wir noch zur Märchenschlucht und uns wird gesagt, dass wir, um dorthin zu kommen, einfach zur Straße gehen und trampen sollen. Irgendein Bus oder Auto wird uns die 7km mitnehmen. Nachdem wir knapp eine Stunde den Daumen raushalten und niemand Platz für uns oder die Mama mit Kind, die auch eine Mitfahrgelegenheit suchen, hat, geben wir auf und kehren in unsere Jurte zurück. So besonders soll der Canyon eh nicht sein.
Stattdessen buchen wir den ganzen Nachmittag unsere Züge für Usbekistan, den Flug von dort in die Türkei und machen uns einen entspannten Tag in unserer Yurte.
Am Tag drauf merkt Sonja, dass es ihr stündlich schlechter geht, während wir diesmal erfolgreich den Daumen raushalten und mit der Mashrutka nach Kochkor fahren. Von hier wollten wir eine weitere dreitägige Wanderung zum Song Kul See machen. In Kochkor angekommen zerlegt es Sonja dann ganz, sie liegt drei Tage mit hohem Fieber und Mandelentzündung flach. Da wir jetzt schon alles gebucht haben und somit ein Abreisedatum aus Usbekistan haben, können wir unsere Kirgistanreise nicht spontan verlängern und die Wanderung noch machen, wenn es Sonja wieder gut geht. Das hat wohl nicht sein sollen.
Wir fahren verfrüht nach Bishkek, als es ihr wieder etwas besser geht, machen auch dort die geplanten Wanderungen nicht mehr, um es nicht zu überstürzen, denn auch Alex spürt das ein oder andere Kratzen im Hals. Wir ärgern uns ein wenig bis stark über diesen ungeplanten Umstand und haben dann trotzdem noch coole Tage in einer zuckersüßen Unterkunft in Bishkek, wo wir uns mit übergroßen Katzen und winzigen Hunden wieder halbwegs gesund schmusen.
Übrigens, falls ihr euch wundert^, wo die Mercedes E-Klasse oder der Audi 80, den ihr oder eure Eltern vor 20 Jahren verkauft habt, obwohl er eigentlich noch lief, abgebieben ist: Er ist hier in Kirgisistan gelandet. Besonders Taxifahrer verlassen sich immer noch auf die deutsche Ingenieurskunst. Das Interieur ist heruntergekommen beziehungsweise nicht mehr existent, aber der Motor schnurrt wie ein Kätzchen - mit leichten Husten.
Ähnliches gilt für euren alten Reisebus oder das Handwerkerauto mit deutschem Aufdruck. Ob der Elektriker Röhrl oder der Dachdecker wirklich hier tätig sind, scheint uns zweifelhaft.
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