Verträumt im Orient
- Sonja
- 8. Sept. 2023
- 9 Min. Lesezeit
Usbekistan begrüßt uns an seiner Grenze mit einer Wartezeit von über zwei Stunden. Nicht darauf, dass wir ins Land gelassen werden, sondern auf den Bus, dessen Grenzübergang sich wohl als schwierig gestaltet, liegt vielleicht an den zwei süßen Hundewelpen im Gepäckfach. Am Ende entscheiden wir uns, ein Taxi mit einem Italiener zu teilen und fahren zu unserem Hostel in Taschkent.
Tashkent: Sowjetisch mit ganz bisschen Orient
Die Großstadt ist wirklich ziemlich groß und es zeigt sich, wie auch in Bishkek, der sowjetische Eindruck an jeder Ecke. Der große Unterschied zu Bishkek ist jedoch das Stück Orient, welches hier auch versteckt ist.
Wir machen uns zu Fuß auf die Suche nach einem Mobilfunkanbieter-Shop. In einem Blog liest Alex, man solle nicht zu einem Laden mit mehreren Anbieter-Schildern gehen, eine Simkarte nicht an irgendeiner Ecke kaufen, sondern zu einer Filiale des Anbieters unserer Wahl gehen. 1,5 Stunden Spazieren bei 33 Grad später, erreichen wir diese, bei Google gefundene, Filiale und stehen vor einem monströsen Sowjetgebäude, an dem riesige UZmobile-Flaggen hängen. Einen Eingang oder gar einen Verkauf von Simkarten suchen wir hier vergeblich. Etwas genervt und mit bereits 20.000 Schritten auf dem Zähler, laufen wir in Richtung einer der Sehenswürdigkeiten von Tashkent. Zu unserem Glück laufen wir zufällig an einer echten UZmobile-Filiale vorbei und bekommen unsere Simkarte doch noch.
Nach weiteren 10.000 Schritten erreichen wir das Hotel Uzbekistan, welches eine der Sehenswürdigkeiten Tashkents sein soll. Das Gebäude ist pompös und vor allem durch seine Bauweise des Brutalismus berühmt. Brutal schön ist diese Art der Architektur nicht, abgesehen von den kleinen orientalischen Stilelementen, welche auch Teil des Bauwerks sind. Der Brutalismus hat auch nichts mit roher Gewalt sondern mit rohem Beton (béton brut = roher Beton, Sichtbeton) zu tun.
Anschließend besuchen wir die Dschuma-Moschee und den dazugehörigen islamischen Komplex - und sind begeistert. Der weitläufige Platz, die Bauten in Sandfarben kombiniert mit blauen und türkisen Fließen, die heilige Stimmung, sind etwas ganz Neues für uns und machen Lust auf mehr. Dass wir in den nächsten zwei Wochen nur noch mit heruntergelassener Kinnlade rumlaufen werden, ist uns hier noch nicht bewusst.
Da wir unsere Liebe für Basare bereits im Nachbarland entdeckt haben, lassen wir natürlich auch einen der ältesten Zentralasiens nicht aus: Den Chrosu-Basar. Dieser ist riesig, auffällig sauber und es gibt reihenweise Köstlichkeiten, die auf uns warten. Für schlappe 3 Euro erstehen wir mehr als 500 g köstliche getrocknete Aprikosen und Pflaumen sowie Cashewnüsse und probieren uns von Stand zu Stand.
Die restliche Zeit verbringen wir in der kühleren Welt, den Tashkenter Metro Stationen. Mit etwas Bedenkzeit entscheiden wir uns, die Gebühr für die Metro erneut zu bezahlen, um diesmal nicht zweckgebunden, sondern nur aus touristischen Gründen mit der Bahn zu fahren. Selbstsicher halten wir unsere Kreditkarten an die automatischen Schranken beim Einlass, die 11 Cent werden unmittelbar abgebucht und wir tauchen unter in der Welt der schönen Haltestellen. Wir fahren mit verschiedenen Linien, hin und zurück auf den selben Strecken und steigen wiederholt aus, um die architektonisch eindrucksvollen Stationen aufsaugen zu können. Alles für 11 Cent.
Nach zwei wirklich coolen Tagen in Tashkent, machen wir uns auf zum Bahnhof, um zu unserem nächsten Ziel zu fahren: Samarkand.
Samarkand: Die große Prächtige.
Mit unseren vorgebuchten Tickets sitzen wir in unserem ersten usbekischen Zug und fühlen uns wie in der ersten Klasse. Riesige Sitze, viel Beinfreiheit, pünktliche Abfahrt, Ankunft ohne Verspätung - die Deutsche Bahn kann sich hier wirklich ein Beispiel nehmen. In Samarkand angekommen, staunen wir bereits aus dem Taxi-Fenster. Die zweitgrößte Stadt Usbekistans strahlt auf eine besondere Art. Mit Chay, Obst und Süßigkeiten werden wir von einem Kind in der Unterkunft begrüßt. Kein seltenes Phänomen. Beinahe in jedem Guesthouse oder Restaurant wird man von jungen Gesichtern freundlich begrüßt und versorgt. Wir nehmen an, das liegt an der Ferienzeit, in welcher die zusätzlich Verfügbarkeit von Arbeitskraft von jeder Familie dankend genutzt wird.
Ohne große Pläne und mit nur noch einem halben Nachmittag zur Verfügung wollen wir eigentlich nur noch kurz durch die Gassen schlendern und vielleicht eine Sehenswürdigkeit auf unserer Liste anschauen. Mit einer gewissen Nüchternheit latschen wir durch die Stadt, um dann von dem Shah-i-Zinda-Komplex mal so dermaßen aus der Nachmittagsruhe gerissen zu werden.
Circa 20 Wüstenstadt-Orient-Aladin-Flaschengeist-Gebäude stehen in unmittelbarer Nähe und beheimaten die Mausoleen unzähliger bedeutender Persönlichkeiten. Darunter auch Qutham ibn Abbas, der wegen seines islamischen Glaubens im 7ten Jahrhundert geköpft wurde und dann wie selbstverständlich überlebt, seinen Kopf aufglaubt und ins Paradies marschiert.
Auf dem Rückweg unseres nicht mehr beschaulichen Ausflugs kommen wir dann noch zufällig an der Monstermoschee Bibi-Chanum vorbei, die größte Zentralasiens. Auch hier gibt es natürlich eine unterhaltsame Legende: Bibi die Frau (Chanum) von Amir Timur, dem einprägsamsten Herrscher der Region, leitet den Bau der Mosche und wird vom Baumeister erpresst. Keine Moschee oder ein Kuss auf die Wange - das sind ihre überschaubaren Optionen. Nach langem Ringen entscheidet sie sich für den Kuss, schützt sich aber mit einem Kissen, aber der heiße Kuss durchdringt es und hinterlässt einen dicken Knutschfleck. Amir don't like. Um der Strafe Timurs zu entgegen baut sich der weniger charmante Bauherr schnell zwei Flügel und fliegt davon.
Die Hauptattraktion, der Registan mit seinen drei unwiderstehlichen Medressen, heben wir uns noch einen Tag auf. Anstatt dessen wandern wir in Afrasyiab, einem leeren Wüstenfleck mitten in der Stadt herum, welcher die ursprüngliche Besiedlung der Stadt ist. Komischerweise ist es trotz der fehlenden Existenz von Irgendetwas schön hier zu sein. Die 40 Grad Außentemperatur sind auf diesem staubigen Fleckchen nicht er bekömmlich. Neben dem pompösen Mausoleum des oben genannten Amir Timurs, der sich in die Prächtigkeit aller Gebäude perfekt einreiht, schummeln wir uns auch wieder über den Bazar.
Orientalische Fliesen, Gewürze, Trockenobst und jegliches Gemüse lassen einen das orientalische Gefühl vollends einsaugen. Vollgefressen für ein paar wenige usbekische Som gönnen wir uns noch ein Bier für noch wenige usbekische Som (74 Cent) und genießen die Lightshow am Registan, begleitet von einem stark haftendem Ohrwurm über Samarkand.
Um 6:45 Uhr am nächsten Morgen, stehen wir dann am noch geschlossen Registan und bezahlen - als wäre es das normalste auf der Welt - einen Security, um jetzt schon aufs Gelände zu dürfen. Und wie sich das lohnt. Wir sind fast mutterseelenallein und können die mächtigen Gebäude ungestört genießen. Solche Bauten haben wir noch nie gesehen. Die Schönheit der Verzierungen, die Aura die sie umgibt und die schiere Größe werden uns lange im Gedächtnis bleiben.
Abgesehen von den unvergleichlichen Gebäuden springt uns noch ein etwas ungewöhnlicheres Detail ins Auge. Samarkand Samarkand ist übersäht mit Einrichtungen, die Green Cards bewerben. Eine kleine Recherche bringt ans Tageslicht, dass die UsbekInnen auf Platz drei der Gewinner der kostenlosen Visa- und Arbeitserlaubnislotterie stehen. Hierbei handelt es sich wohl um eine weitverbreitete Betrugsmasche, bei der die Anbieter vierstellige USD-Beträge für die Anmeldung kassieren. Was es nicht alles gibt.
Noch ein interessanter Fakt gefällig? In Usbekistan fahren mehr als 60% der zugelassenen Autos mit Gas, was wohl einfach an den großen Gasvorkommen des Landes liegt.
Bukhara: Die touristische Wüstenschönheit
Auf unserer Zugfahrt trifft es uns wie der Schlag. Lange haben wir gedacht, dass die Länder Zentralasiens so gut wie keine Gemeinsamkeit mit denen Südostasiens haben, aber jetzt hat es Klick gemacht.
In Deutschland ist es unvorstellbar, beziehungsweise nicht ohne dafür direkt verurteilt zu werden und jeglichen Menschverstand abgesprochen zu bekommen. In der Öffentlichkeit über Lautsprecher telefonieren, Musik hören, auf Social Media Videos gucken. Weder in Indonesien, Thailand, Kirgisistan oder Usbekistan scheint die Kopfhörerindustrie angekommen zu sein.
Im Nachtzug, dazu später mehr, um 23 Uhr den Kumpel über Lautsprecher anschreien, Youtube-Videos auf voller Lautstärke schauen oder einfach das Handy irgendwelche nervtötenden Geräusche machen lassen. So ist es in dem Asien, das wir besucht haben. Daran gewöhnt haben wir uns vielleicht ein wenig, selbst tun kommt nicht in Frage.
Wie dem auch sei, wir kommen heil und pünktlich in Bukhara an. Die Altstadt, welche alle sehenswürdigen Bauten und Plätze beinhaltet, ist nicht sehr groß. Fußläufig vermutlich in einem langen Tag oder eineinhalb sehr entspannt zu sehen. Wir haben drei. Dementsprechend viel Zeit lassen wir uns und versuchen auch abseits der Attraktionen das Gefühl der Gassen und des Lebens hier zu erfahren.
Ein sandsteinfarbenes Gebäude reiht sich an das nächste und lässt uns vollkommen eintauchen in diese beeindruckende Wüstenstadt. Die orientalischen Gebäude können es mit der Schönheit derer in Samarkand Samarkand auf jeden Fall aufnehmen. Die etwas engere Bebauung sowie der kleine Größennachteil, lassen sie nicht ganz so mächtig wirken.
Das macht aber nichts, denn es ist mächtig was los hier. Im kleinen Stadtkern tummeln sich nur so die Touristen. Wer kann es ihnen verübeln? Wenn die Nacht erwacht kommen nicht nur alle hitzescheuen Touristen aus ihren Hotels, sondern auch jeder Straßenstand bietet an, was er so anzubieten hat. Etwas schade ist auch, dass die filmreifen Gebäude, dessen Innenhöfe man betreten kann, Gastgeber für jegliche Souvenirshops sind. Dadurch verlieren sie natürlich etwas an Magie.
Apropos filmreif: Während wir in Bukhara sind, wird dort tatsächlich gedreht. Sonja spitzt die Lauscherchen, um zu hören, in welcher Sprache aufgenommen wird. Vermutlich russische Laute lassen jegliche Hoffnung auf einen durchtrainierten, verschwitzen Hollywoodsuperstar dahinschwinden. Ein blonder junger Knappe scheint nicht so ihr Geschmack.
Nichtsdestotrotz ist Bukhara eine Schönheit. Das Kalon Minarett, das höchste Zentralasiens, sowie die anschließende Moschee und Medresse rauben einem den Atem. Mit der Gunst der frühen Morgenstunden laufen wir träumerisch durch die Wüstenstadt und bestaunen die Baukunst vergangener Jahre. Fast wird die morgendliche Idylle zerstört, als Alex zu schnell geht.
Noch zu erwähnen ist das Chor Minor, bei welchem nach Einsturz einer der vier Türme zwar UNESCO Gelder verwendet worden sind, jedoch, um die Schmach eines dreitürmigen Hauses zu vertuschen, jegliche Standards der UNESCO ignoriert wurden, um es schnellstmöglich wieder zu errichten.
Auch beheimatet Bukhara wenige der verbliebenen Bucharischen Juden, eine ethnisch-religiöse Gruppe Zentralasiens, die nach und nach stark assimiliert wurde. Auch in Deutschland finden sich noch wenige dieser Minderheit.
Xiva: Die Oase der Türme
Stichwort Nachtzug. Einen solchen buchen wir, um in die nächste Stadt der ehemaligen Seidenstraße namens Xiva oder auch Khiva, gesprochen wie zweiteres, zu gelangen. Nachts steigen wir in den Zug und Alex gebuchtes Bett ist leider schon besetzt. Die schwangere Dame verweist ihn auf das obere Stockbett, welches sie nicht mehr erklimmen kann. Kein Problem, wir schlafen eh nur.

Von einem Po an den Füßen wird Sonja geweckt. In ihrem Bett hat sich eine andere Dame niedergelassen, um mit ihren Freundinnen um 6 Uhr morgens zu frühstücken und Souvenirs zu shoppen, die im Zug verkauft werden. Hier läuft es eben etwas anders. Nachdem wir den Bruder unseres Taxifahrers abgeholt haben, kommen wir in unserem süßen Guesthouse an, welches zwischen einer UNESCO Weltkulturerbe Moschee und einer der Hauptattraktionen von Xiva liegt. Wir bekommen ein köstliches Frühstück von der entzückenden Tochter des Inhabers serviert und genießen den Blick.
Auch hier hat man die Sehenswürdigkeiten theoretisch innerhalb von 1,5 Tagen gesehen. Wir haben vier eingeplant. Deshalb teilen wir uns die Tage in etwa so auf: Früh aufstehen, um den Massen und der Hitze zu entkommen, Sachen anschauen. Frühstücken. Irgendwo Tee trinken gehen. Mittagessen. Im klimatisierten Zimmer rumliegen. Irgendwo Tee trinken gehen. Abendessen. Bier trinken. Klingt langweilig, war es zeitweise auch etwas. Nichtsdestotrotz sind wir von Khivas Schönheit total fasziniert. Die sandfarbene Oase hat nochmal einen ganz neuen Charme. Verwinkelte Gassen, die alle von wunderschönen kleinen oder großen Türmchen verziert werden. Besonders bei Sonnenuntergang und in der Dämmerung gibt es in der Stadt, durch ihre beigen Gebäude, ein ganz besonderes Licht, was uns wirklich in eine andere Zeit versetzt.
Hinter jeder Tür wartet ein idyllischer Innenhof, wo Tee getrunken wird - einmal werden wir sogar mit einer Handgeste eingeladen, wir verpassen irgendwie den Moment "Ja" zu sagen und ärgern uns im Nachhinein total. Das Ganze findet innerhalb der uralten Stadtmauer statt, welche wir auch begehen und von der man einen fantastischen Blick auf Xiva hat. Es ist ein wahrer Traum aus 1001 Nacht.
Wir besichtigen einige beeindruckende Bauten. Zum Beispiel die Juma Moschee, die von 218 Holzsäulen getragen wird. Sechs oder sieben davon, sind Originale und stammen noch aus dem 10. Jahrhundert. Die Moschee ist auch deshalb so besonders, da ihre Bauweise sehr untypisch für den zentralasiatischen Raum ist und ihr lichtspendender Innenhof neben einer Gebetsstätte auch als Event-Location fungiert. Ebenso einzigartig ist das Kalta Minor. Das Minarett sieht aus wie eine kleine, dicke Version eines typischen Minaretts und sollte mit 70 Metern das höchste in ganz Zentralasien werden. Es ranken sich Gerüchte um die Nicht-Fertigstellung des Turmes.
Entweder es wurde nach dem Tod von Khan Muhammed Amin, der Auftraggeber war, nicht weitergebaut (Keine Knete, kein Turm). Oder, der konkurrierende Emir aus Bukhara wollte mit demselben Baumeister ein noch höheres Minarett errichten, daher Amin dazu entschlossen, diese Baumeister zu ermorden, um dem Emir diese Möglichkeit zu verwehren. Der Baumeister kam davon Wind und floh (Kein Baumeister, kein Turm). Oder, wie es in einem der vielen Museen in Khiva steht, der Baumeister ist verschwunden und man geht von einem Tod, dessen Ursache nie geklärt werden konnte, aus (Keine Todesursache, kein Turm).
Apropos Museum: In Khiva werden Sehenswürdigkeiten zumindest nicht mit Souvenirshops vollgestopft, dafür mit schlechten, aber gut gemeinten Museen. Da wir uns klugerweise den viel zu teuren Sehenswürdigkeiten- + Museen-Pass gekauft haben, nutzen wir ihn auch aus und gehen überall rein. Hier ein kleiner Einblick:
Alles in allem war Khiva einHighlight, auch wenn wir viel zu viel Zeit dort hatten. Die Stadt hat einfach das gewisse Etwas und eine magische Aura. Usbekistan hat uns auf vielen Ebenen umgehauen. Die uns bis dato noch unbekannte islamische Architektur ist einzigartig schön. Die Menschen in diesem Land sind mit die freundlichsten, die wir je erlebt haben. Die Tatsache, dass dir immer und überall Tee mit Köstlichkeiten gereicht wird, ist ein wunderbares Ritual, welches wir nach Hause mitbringen werden. Es hat in Khiva geregnet - laut unserem Host war es das erste Mal in diesem Jahr. Das Essen ist leider eine Enttäuschung und vor allem als Vegetarierin tut man sich extrem schwer. Niemals hätten wir mit so vielen Touristen gerechnet, es waren wahrhaftige Massen. Das Land ist so günstig zu bereisen, dass es sogar südostasiatische Standards schlägt. Wir können auf jeden Fall nur empfehlen, das wunderschöne Usbekistan zu besuchen - vielleicht nicht unbedingt in der Ferienzeit.
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